Literatur

12.08. | Buch der Woche

Richard Russo • Jenseits der Erwartungen

Dumont

Richard Russo
Jenseits der Erwartungen
Dumont • 432 Seiten

Lincoln, Teddy und Mickey haben sich Ende der 60er-Jahre auf einem kleinen Ostküstencollege kennengelernt, um sich dort zwischen Joints und Rockmusik in dieselbe Frau zu verlieben. Ihrerseits wollte sich die freiheitsliebende Jacy damals für keinen von ihnen entscheiden und genoss stattdessen ihre Rolle als assoziiertes Bandenmitglied.

Inzwischen sind die drei Freunde alt geworden, doch ihre Liebe ist auch deswegen rostfrei geblieben, weil Jacy kurz vor ihrem Abschluss spurlos verschwand. Ihr Geist ist dafür umso lebendiger in dem hübschen Sommerhäuschen auf Martha’s Vineyard, in dem sich Lincoln, Teddy und Mickey noch einmal treffen, um sich an die letzten zu viert verbrachten Tage zu erinnern. »Jenseits der Erwartungen« zeichnet von Anfang an eine Welt, die beinahe marktforschungsgerecht malerisch ist, und deren Überraschungen und Geheimnisse an genau jenen neuralgischen Punkten sitzen, an denen Leser mit Lust auf »Sommerlektüre« sie vermuten. Zwar sitzt die Spannungsschraube, aber über das Altern oder die Liebe hat der Roman wenig Klischeefreies mitzuteilen. Das gilt auch für ein Nebenthema, das Russo auf etwa halber Strecke etabliert.

Männer, erläutert ein desillusionierter Ex-Polizist, verhielten sich »einfach nicht anständig gegenüber den Frauen.« Dieses Verhalten strukturell infrage zu stellen, ist eine analytische Aufgabe unter anderem auch von Schriftstellern. Der wilden Jacy aus wohlhabendem Hause stoßen dann aber trotzdem wieder genau die Dinge zu, die wilden Mädchen aus wohlhabendem Hause in melodramatischen Romanen eben zustoßen.

Markus Hockenbrink