Literatur

11.10. | Buch der Woche

Richard Ford • Valentinstag

Hanser · 21. August

11.10. | Buch der Woche - Richard Ford • Valentinstag

Richard Ford
Valentinstag

Hanser
Hardcover, 384 Seiten, 28,00 €


Der Philosoph Peter Bieri sinnierte über das unausweichliche Ende des Lebens, dass erst der Tod dem Augenblick seine Schönheit und seinen Schrecken verleihe. Nur durch den Tod ist die Zeit eine lebendige Zeit, resümierte er in seinem Bestseller »Nachtzug nach Lissabon«. Frank Bascombe, die legendäre Figur des Sportreporters und späteren Immobilienmaklers aus dem Romanuniversum des amerikanischen Schriftstellers Richard Ford, sieht sich in Fords neuem Roman »Valentinstag« im Winter seines Lebens angesichts der unheilbaren ALS-Erkrankung seines Sohnes Paul einem Wettlauf mit dem Tod konfrontiert. Das Vater-Sohn-Verhältnis war nie sonderlich gut. Zu sehr schmerzte Paul die frühe Scheidung Franks von seiner Mutter Ann. Stets eigen und ungelenk, ausgestattet mit einem skurrilen Humorverständnis – »Ich glaub, du hast eine akute Deppression, oder kriegen das nur Deppen?« – tapste Paul mehr schlecht als recht durchs Leben. Sein Berufswunsch war Bauchredner. Eine Kunstform, die er zeitlebens nur dilettantisch als Hobby beherrschte. Doch nunmit 47 Jahren führt ihn eine tödliche Erkrankung des motorischen Nervensystems wieder zusammen mit seinem 74-jährigen Vater. Nach einem Aufenthalt in der renommierten Mayo-Klinik in Rochester, wo Paul an einer experimentellen Studie teilnahm, die ihm zwar keine Heilung verschafft, aber sein Vermächtnis für die Nachwelt sein soll, begeben sich Vater und Sohn drei Tage vor dem Valentinstag auf einen Roadtrip. Gerade im Angesicht des Todes spräche nichts gegen eine robuste Verdrängung, stellt Frank fest, und mietet ein Wohnmobil an, um mit seinem Sohn in das 600 Meilen entfernte South Dakota zu fahren. Auch wenn der Weg das Ziel ist, stellt die Besichtigung des monumentalen Präsidenten-Denkmals Mount Rushmore den Schlusspunkt ihres großen Abenteuers dar. Was darüber hinaus geschehen soll, ist beiden völlig unbedeutend. Frank geht es um die Kunst des geretteten Augenblicks, um einen Schleier der Verdrängung über die Verzweiflung seines Sohnes zu legen. Richard Ford, der als bisher einziger Autor sowohl den Pulitzer-Preis als auch den PEN/Faulkner Award erhielt, beschließt mit »Valentinstag« seine fünfteilige Romanreihe um seine berühmte Romanfigur Frank Bascombe. Der große Chronist des modernen Amerika skizziert lakonisch die unbeholfene Beziehung des pflegenden Vaters zu seinem todgeweihten Sohn, der sich immer wieder mit seiner eigenen Sterblichkeit konfrontiert sieht. Was wird, wenn der Vater vor dem Sohn stirbt? Ford gelingt es, die schweren wie essenziellen Themen des Lebens eines sogenannten alten weißen Mannes mit Leichtigkeit und unterschwelligem Witz authentisch zu verhandeln, ohne ins Klischeehafte abzudriften. Und destilliert dabei feinsinnig die Schönheit des Augenblicks. Ein Abgesang auf das Leben, dessen Glück darin zu finden ist, ihm seinen vollen Tribut zu zollen.

Björn Eenboom