Literatur

11.05. | Buch der Woche

Niklas Maak • Technophoria

Hanser
Niklas Maak

Technophoria

Hanser, 256 Seiten

Alexa, wo leben wir?

Niklas Maak erzählt in „Technophoria“ vom alten Menschheitsglauben, mit Technik Berge versetzen zu können – nur werden anstelle von Ozeanriesen heute Smart Cities gebaut.

Qattara-Depression – das klingt so traurig und behandlungsbedürftig, obwohl es der geologisch korrekte Begriff ist. Qattara-Senke hört sich besser an, auch wenn es dasselbe meint. Nämlich eine salzige Fläche in der Libyschen Wüste in Ägypten, 120 Kilometer lang, 80 Kilometer breit, die vor Urzeiten mal ein Meer war und heute bloß von ein paar nomadischen Beduinen mit ihren Herden bewohnt wird. Aber das kann sich ja ändern.

In „Technophoria“ bietet sich ausgerechnet dieser verödete Unort als Projektionsfläche an – für menschliche Allmachtsphantasien vom technisch Machbaren. Die Senke, 130 Meter unter dem Meeresspiegel gelegen, soll wieder geflutet werden, mittels eines ellenlangen Kanals. Damit wären zwar nicht alle Probleme der Welt gelöst. Aber doch erstaunlich viele! Darunter der Anstieg der Ozeane durch die Klimakatastrophe. Überhaupt würde dieses Meer inmitten der Sahara für frischen Wind sorgen. Blühende Landschaften könnten entstehen, prosperierende Städte – genauer: Smart Cities. Denn denen gehört die Zukunft. Ein Multimilliarden-Geschäft!

Turek, der stille Protagonist aus „Technophoria“, arbeitet für eine Firma, die ebensolche digital durchpulste und vernetzte Metropolen baut. Bestehend aus lauter klugen Häusern, die ihren Bewohnern alle Bedürfnisse von den Lippen ablesen. „Bald werden die Leute ihren Wohnungen Namen geben; warum nicht. Wer frührer mit den Dingen redete, galt als sonderlich: heute antworten sie und merken sich, was man sagt“, heißt es einmal so schön.

Es ist eine „Brave New World“ des digitalen Zeitalters, die Maak hier entwirft. Und dafür benötigt er kaum Science-Fiction-Fantasie. Selbst die Pläne, die Qattara-Senke zu fluten, gab es bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts wirklich. Und sie leben immer mal wieder auf, so „Fitzcarraldo“-mäßig sie auch klingen mögen. Denn zwischen Meer und Senke liegt einiges Gebirge, das man zum Beispiel mit Atombomben wegsprengen müsste. Aber grotesken Energieaufwand hat der menschliche Erfindergeist ja noch nie gescheut.

Alles ist möglich – solange nur der Strom nicht ausfällt. Die Netzabhängigen in diesem Buch haben ihr Leben ganz in die Hände der Künstlichen Intelligenz gelegt. Sie lassen sich von ihren Gesundheitsapps ermahnen, wenn sie zu oft Pizza ordern. Und sie gehen Berufen nach, die das Prädikat „sinnvoll“ nur bedingt verdienen. Tureks Freundin Aura zum Beispiel hört sich professionell Alexa-Aufzeichnungen an, bei denen es zu Missverständnissen gekommen ist, um die Sprachbegabung der Maschinen zu verbessern. Klar sind auch Sex-Tapes dabei. Die Überwachung gibt’s in den modernen Komfortzonen inklusive.

Niklas Maak schickt seine Tekkie-Kolonialisten im Zuge ihrer Smart-City-Mission auf eine wilde, herrlich absurde Reise um die Welt, zu Gorillas in Ruanda und zu Robotern in Kyoto. Der Chef der Firma, Driessen, ist dabei der Ober-Euphoriker. Überzeugt davon, „dass die Technologie an einem Punkt angekommen war, wo sie fast alle Probleme lösen könnte“. Aber bekanntlich folgt auf jeden Rausch der Kater. Wenn nicht eine Qattara-Depression.

Patrick Wildermann