Literatur

11.05. | Buch der Woche

Georgi Gospodinov • Zeitzuflucht

Aufbau

„Und als sie sich umdrehten, sahen sie ihre Zukunft …“ Der bulgarische Schriftsteller Georgi Gospodinov widmet sich in „Zeitzuflucht“ dem Verhältnis von Vergangenheit und Gegenwart. Gaustín, der Gefährte des Erzählers, wandelt durch die verschiedenen Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts und eröffnet eine Vergangenheits-Klinik für Alzheimer-Erkrankte, damit die Betroffenen dort in ihrem jeweiligen Wunschjahrzehnt leben können. Das findet Nachahmer, zahlreiche Reenactments erwecken historische Ereignisse zu neuem Leben. Mithilfe eines großen Referendums soll schließlich ganz Europa darüber entscheiden, in welcher Zeit gelebt werden soll. Geschickt entwirft Gospodinov eine Geschichte, die zwischen Realem und Fiktionalem flirrt, die sich im Absurden plötzlich greifbar und glaubhaft anfühlt, im Alltäglichen dagegen mystisch. Auf beunruhigende Weise schafft der Autor es, seine Leser in eine Distanz zum Hier und Jetzt zu bringen und dadurch Dinge sichtbar zu machen, die bisher vor lauter Nähe unscharf und verschwommen blieben.

Georgi Gospodinov
Zeitzuflucht

Aufbau, 336 Seiten

Sophie Glaser