Musik

10.06. | Album der Woche

Fantastic Negrito • White Jesus Black Problems

Storefront

10.06. | Album der Woche - Fantastic Negrito • White Jesus Black Problems

Im Grunde Schotte

Bei einer Ahnenforschung entdeckte Fantastic Negrito die Geschichte seiner Vorfahren, die für ihre Liebe große Opfer brachten – und die Freiheit fanden.

Wie das so ist, wenn man im Zuge einer Pandemie mehr Zeit hat als sonst: Man kommt zu Dingen, die man immer schon mal machen wollte. Xavier Amin Dphrepaulezz, der sich als Musiker Fantastic Negrito nennt, wollte herausfinden, was es mit seinem seltsamen bürgerlichen Nachnamen auf sich hat, den sein Vater ihm mit auf den Weg gegeben hatte. Das Ergebnis der Nachforschungen war ernüchternd. "Er war ein Schwindler, der viele Leben gleichzeitig führte und dabei viele Namen trug." Dphrepaulezz war einer von ihnen. Damit wäre diese Story beinahe vorbei gewesen, doch weil die Pandemie dem Musiker Fantastic Negrito viel Zeit schenkte, entschied er sich dazu, auch die Seite seiner Mutter zu erforschen, Frances Delores Nevils. Der US-Amerikaner begann zu graben, und als er die siebte Generation seiner Vorfahren erreichte, stockte ihm der Atem. Seine Großmutter war Eva L. Brown, Tochter von Benjamin und Ella Brown, geborene Wheeler. Deren Vater Mofield M. Wheeler war Sohn von William und Sarah Wheeler, geborene Cousins. Deren Vater Manson Cousins hatte eine Frau namens Edith Gallimore geheiratet, und hier wird es spannend, denn Gallimore ist ein schottischer Name. Ediths Vater hieß Joshua, er war der Sohn von George Gallimore, der als Sohn eines aus Schottland in die Vereinigten Staaten übersiedelten Dienstmädchens namens Elizabeth Gallimore geboren wurde. Der Vater? Ein Mann ohne Namen. Ohne Rechte. Ein Sklave aus Virginia. In dieser Liebe zwischen der jungen Schottin und dem namenlosen Sklaven liegen die Wurzeln der Familie. "Als ich das erfuhr, musste ich schlucken", sagt Fantastic Negrito. Warum? "Weil viel mehr europäisches Blut in mir fließt, als ich dachte. Im Grunde bin ich ein Schotte!" Er lacht, wird aber ernst und leidenschaftlich, wenn er an die Liebe seiner Vorfahren denkt. "Diese Beziehung war in den 1750er-Jahren illegal", sagt er. Das Paar landete vor Gericht, die Schottin verlor ihren Status, doch nach der Heirat gewann ihr jetziger Ehemann seine Freiheit. "Es ist eine Geschichte des Unrechts und der Liebe, die dagegen kämpft. Und diese Story war zu gut, um sie nicht zu nutzen." "White Jesus Black Problems", Fantastic Negritos neues Album, nimmt auf diese Ereignisse Bezug. Dazu hat der Musiker einen Film gedreht, auch einen Roman oder ein Musical könne er sich vorstellen. "Schließlich braucht die Welt gerade heute nichts dringender als Geschichten, die davon erzählen, zu welchen Dingen die Liebe fähig ist."

Fantastic Negrito
White Jesus Black Problems

Storefront, 3. Juni

Das vierte Album unter dem Namen Fantastic Negrito ist zugleich das ambitionierteste. Statt die Vorlage der Lovestory seiner Vorfahren mit Kitsch zu übergießen, dreht und wendet der Soul-Freigeist den Stoff. Die Songs erzählen von früher, setzen die verbotene Liebe zwischen einer Schottin und einem Sklaven in Bezug zur amerikanischen Gegenwart. Die Musik ist mal wild-psychedelisch, mal retro-soulig. Ein Höhepunkt: "They Go Low", die Analyse des Neo-US-Nationalismus, verpackt in einem hochmelodiösen Popsong.


Foto: Bryan C. Simmons

André Bosse