Literatur

08.12. | Buch der Woche

Eve Ensler • Die Entschuldigung

Ullstein

Im Namen des Vaters

Die US-amerikanische Autorin und Aktivistin Eve Ensler arbeitet ihre eigene Geschichte als Überlebende von Missbrauch auf – aus der Perspektive des Täters.

Es fällt schwer, diesen Mann nicht als Monster zu sehen. Arthur S. Ensler, Familienvater und leitender Angestellter in einer Eiscremefabrik, hat seiner Tochter – Achtung, Triggerwarnung – unfassbare Dinge angetan. Als Eve fünf Jahre alt ist, beginnt er, sie sexuell zu missbrauchen. Später würgt er das Mädchen, schlägt ihr mitten im Restaurant mit der Faust ins Gesicht, droht damit, sie zu erstechen. Noch im Teenageralter muss sie regelmäßig ein demütigendes Prügelritual mit dem Tennisschläger über sich ergehen lassen. Ebenso grausam wie die körperlichen Übergriffe aber sind Arthurs Versuche, Eves Willen und Eigenständigkeit zu brechen. Über Jahre versucht er ihr einzureden, sie sei dumm und faul, eine wertlose Lügnerin. Selbst als die zur Studentin Herangewachsene eine triumphale Rede vor dem gesamten College hält, kann sich der Vater kein anerkennendes Wort abringen. Stattdessen straft er sie mit eisigem Schweigen. Der endgültige Bruchpunkt.

Für all das hat sich der Vater der US-amerikanischen Schriftstellerin, Dramatikerin und Aktivistin Eve Ensler nie entschuldigt. Lange hat sie auf diese Bitte um Verzeihung gewartet. Vergebens. Inzwischen ist Arthur Ensler schon lange tot. Posthum aber gibt ihm die Tochter noch eine Chance. Indem sie sich mithilfe eines erstaunlichen literarischen Kraftakts in seine Perspektive versetzt und ihm die Worte leiht, die gesagt und gehört werden müssen, damit so etwas wie innerer Frieden einkehren kann. Besser spät als nie. Also erzählt Arthur aus dem Limbo von der eigenen beschädigten Kindheit bei gefühlskalten Eltern und einem sadistischen Bruder, die sicher dazu beitrug, dass ein permanent vor Zorn bebender Narzisst mit blendend charmanter Fassade aus ihm wurde. Ein Mann, der schließlich einen Teil seiner Persönlichkeit von sich abspaltet. „Shadow-Man“ nennt Ensler diesen dunklen Zwilling, der eines Nachts die Oberhand gewinnt. Und Eve das Leben zur Hölle macht. Eve Ensler ist berühmt geworden als Autorin des Theaterwelthits „Die Vagina-Monologe“, der über die Bühnen hinaus zu einem neo-feministischen Manifest geworden ist. Das Stück basiert auf Interviews mit über 200 Frauen und beschreibt im besten Sinne unverschämt ein weites Spektrum von sexuellen Erfahrungen – gewalttätig, lustvoll, empowernd. Im Zuge dieses Erfolgs hat Ensler den V-Day („victory over violence“) ins Leben gerufen. Als Aktionstag gegen Gewalt an Frauen. Auch ihr Buch „Die Entschuldigung“ lässt sich als Kampf um Selbstermächtigung lesen, und ganz sicher war der mit Schmerzen verbunden.

Die Autorin weist damit aber über das eigene Schicksal, das individuelle Leid hinaus. Was sie den um Wahrheit ringenden Vater beschreiben lässt – während er sich „wie ein öliges Schwein um den brandigen Spieß seiner Egozentrik dreht“ –, ist nicht zuletzt ein Patriarchat, das fortwirkt. Arthur verortet sich selbst auf den Schultern von „Generälen, Eroberern, Geschäftsführern, Betrügern, Tyrannen, Dieben, Ausbeutern aller Couleur und Irren.“ Von Männern, die mit allem davonkommen. „Das sind meine Vorväter.“


Eve Ensler
Die Entschuldigung

Ullstein, 144 Seiten

Patrick Wildermann