Musik

08.07. | Album der Woche

Jazzrausch Bigband • Emergenz

ACT

08.07. | Album der Woche - Jazzrausch Bigband • Emergenz

Getrieben und gelassen

Mit Elektronik, Jazz und klassischen Horizonten sorgt die Jazzrausch Bigband für Endorphine. Doch kein Rausch ohne einen, der den Überblick behält.

"Augenblick bitte, ich suche mir eben ein ruhiges Plätzchen." Roman Sladek weilt auf der Musikmesse jazzahead! in Bremen. Laut seiner Vita auf der Webseite der Bigband dauert es noch knapp zwei Stunden, bis seine tägliche Arbeitsphase von "14 Uhr nachmittags bis vier Uhr morgens" beginnt. Das Porträt haben seine Ensemblemitglieder ebenso übermütig wie humorvoll verfasst. Doch in jedem Stück Satire glüht ein wahrer Kern. "Es stimmt schon, ich bin ein Getriebener«, gibt der Posaunist, Komponist, Arrangeur und Manager lachend zu, der schon als Teenager die Drumsticks in diversen Metalbands schwang, deren Home-Recordings er im Rückblick "durchaus beeindruckend" findet. Heute sind die Haare kurz und die Nächte lang, wenn der Münchener sich den "sozialen" wie den "betriebswirtschaftlichen" Aspekten seiner Lebensaufgabe ebenso sorgsam widmet wie den künstlerischen und das nicht etwa genervt, sondern aus Liebe zur Musik. "Selbstverständlich empfinde ich keine Selbstverwirklichung beim Erstellen der Buchhaltung, aber derlei trockene Tätigkeiten machen mich nicht zum schlechteren Künstler. Im Gegenteil – sie ermöglichen emotional Großes."

Das Ergebnis bestätigt diese Haltung. Die 24-köpfige Formation, die dem Münchner Technoclub Harry Klein entsprungen ist, führt ihre Programme mittlerweile auch auf großen Bühnen wie der Elb- oder der Isarphilharmonie auf, in pandemiefreien Zeiten spielt sie bis zu 120 Termine im Jahr. Keine Relation zu den Verkaufszahlen ihrer beim feinen Kennerlabel ACT erschienenen Alben, die bei Kontakt schnell begeistern, aber niemanden durch Radio-Airplay oder aufdringliches Marketing abholen. Wer diese Klangwelt entdecken möchte, muss sich selbst auf den Weg machen. Was sich am Ziel findet, empfinden die einen als beruhigende Trance, die zweiten als fachliche Entdeckungsreise und die dritten als körperlich-sinnliche Erfahrung, die ihnen vor allem live endlich wieder erlaubt ist. Speziell das ansonsten sehr gesittete Publikum klassischer Säle sei "froh, mit gutem Gewissen die Sau rauslassen zu dürfen", schmunzelt Sladek zufrieden durchs Mobiltelefon, "denn schließlich ist es bei aller Ekstase ja trotzdem Kunst". Er selbst hat vor allem eine ungewöhnliche Art, neue Musik zu hören: Regelmäßig kehrt er ins Harry Klein zurück, jedoch nicht, um dort zu tanzen, sondern um in der Menge ganz gezielt "eine Stunde lang zu lauschen". Ganz gelassen, im Auge des Sturms.

Jazzrausch Bigband
Emergenz
ACR, 27. Mai

"Alben sind Momentaufnahmen«, sagt Sladek, "es muss fertig werden, in die Welt" und böte auf diese Weise so manche "Erkenntnis nach der Veröffentlichung". Das neue Werk hat die Formation im Technoclub Harry Klein eingespielt, um den Vibe der alten Zeiten einzufangen. Die Fusion aus teils hypnotischer, teils treibender und teils kantiger Housemusik mit cremigem Jazz und handfesten narrativen Konzepten glitzert bereits an der Oberfläche, hält aber in der Tiefe viel Raum für umfangreiche Tauchgänge bereit.


Foto: Sebastian Reiter

Oliver Uschmann