Literatur

05.06. | Buch der Woche

Marcel Lewandowsky • Was Populisten wollen

Kiepenheuer & Witsch

05.06. | Buch der Woche - Marcel Lewandowsky •  Was Populisten wollen

Mobilisieren statt kopieren

Marcel Lewandowsky hält nichts von kurzfristigen Mitteln gegen Rechtspopulisten. In seinem leidenschaftlichen Plädoyer für mehr Demokratie fordert der Politologe etwa eine wirksamere Sozialpolitik.

Glauben Sie, dass Donald Trump im Herbst wiedergewählt wird?
Die Chancen stehen nicht schlecht für ihn, weil er eine sehr aktive und loyale Basis hat. Joe Biden hingegen bleibt trotz seiner innenpolitischen Erfolge unbeliebt und wird wegen seines hohen Alters fortwährend lächerlich gemacht.

Was passiert, wenn Trump erneut Präsident wird?
Trumps Team hat sehr deutlich gemacht, wohin die Reise geht. Das Programm »Project 2025«, das auch online offen zugänglich ist, legt dar, wie die Demokratie autoritärer gestaltet und die Rolle des Präsidenten gestärkt werden soll. Das Parlament und die Gewaltenteilung insgesamt sollen schwächer werden. Das Ziel ist, ein auf eine Trump-Herrschaft zugeschnittenes Modell zu etablieren.

Und wenn Trump verliert?
Menschen mit populistischen Einstellungen, und dazu zählen Trump-Wähler, haben eine höhere Toleranz gegenüber politischer Gewalt. Vor allem, weil sie davon überzeugt sind, von einer übermächtigen Elite unterdrückt zu werden. Die Trump- Wählerschaft wird eine Niederlage vermutlich nicht wahr haben wollen und könnte mit Gewalt reagieren.

Woher kommt dieses Bild, dass eine Elite die Massen manipulieren will? Die Demokratie verspricht ja, dass das Volk absolut souverän ist. Dieses Versprechen ist jedoch schwer einzulösen, denn ein demokratisches System muss diese Souveränität, die etwa durch Wahlen zutage tritt, gleichzeitig auch wieder beschneiden, um eine Demokratie zu bleiben. Zu diesem systemischen Grundproblem kamen in den vergangenen Jahren Dauerkrisen hinzu, wodurch sich unter vielen Menschen die Annahme verbreitet hat, dass es ihnen in Zukunft schlechter gehen wird und ihren Kindern noch schlechter. Deshalb wird man nicht automatisch zum Rechtspopulisten, aber die Bereitschaft, für Parteien zu stimmen, die genau diese Problemthemen radikal ansprechen, erhöht sich. Hier bildet sich ein Nährboden für Rechtspopulismus.

Ist Populismus das Problem oder nicht eher Polarisierung?
Populismus besagt, dass es einen gemeinsamen Volkswillen gibt. Nur wenn dieser Wille durchgesetzt wird, dann herrscht Demokratie, aber »die da oben« wollen ihn unterdrücken. In Deutschland kann man sehr gut sehen, wie das wiederum mit Polarisierung zusammenhängt. AfD-Wähler haben die Wahrnehmung, dass alle anderen auf der gegnerischen Seite stünden. Das ist eine sogenannte affektive Polarisierung, die typisch für populistische Parteien ist und eine Dialogbereitschaft mit der »falschen« Seite ausschließt. In den USA ist es noch krasser, weil es nur zwei Parteien gibt. Die versöhnliche Mitte, die es in einem politischen System braucht, um weiterzukommen, ist dort erodiert. Populismus ist Förderer und Nutznießer dieses Phänomens der Feindbildung.

Als die AfD 2013 antrat, polarisierte sie eher mit finanz- und europapolitischen Themen, die damals auch Wähler mit liberalem Profil ansprachen, inzwischen geht es um die sichere Einstufung der Partei als rechtsextrem. Besteht die Gefahr, dass alle populistischen Parteien irgendwann nach rechts rücken?
Nicht jede populistische Partei ist rechtsradikal. In Südeuropa gibt es erfolgreiche linkspopulistische Parteien wie Podemos in Spanien oder Syriza in Griechenland. In Lateinamerika existiert diese Tradition schon lange. Das Bündnis Sahra Wagenknecht ist eine Mischform, die sich ökonomisch links aufstellt, aber gesellschaftspolitisch schon in Richtung antiwoke geht und andere Ressentiments aufgreift. In Deutschland ist das rechtspopulistische Wählerpotenzial aber klar durch die AfD abgeschöpft.

Profitiert der Linkspopulismus in Zentraleuropa nicht auch von der Nostalgie der sozialistischen Ära?
Tatsächlich herrscht im populistischen Wählermilieu in Ländern wie Polen, Ungarn und der Slowakei eine Verklärung der Zeit vor 1990, in der man sich sozial sicherer wähnte. Die Einführung der Demokratie ging dort ja mit der Einführung der freien Marktwirtschaft einher, was dazu geführt hat, dass Demokratie oft mit sozialer Ungleichheit in Verbindung gebracht wird. Verstärkend hinzu kamen auch hier die sogenannte Flüchtlingskrise und der in Ländern wie Ungarn noch ausgeprägte Antisemitismus. Im breiteren sozialpolitischen Zusammenhang muss man sich die Frage stellen, warum ein Wähler sein Kreuz bei einer rechtspopulistischen Partei setzt, zum Beispiel der AfD. Wenn jemand 1992 die Asylpolitik Deutschlands abgelehnt hat, so wählte er vielleicht trotzdem CDU oder SPD, weil er diesen Parteien insgesamt in wirtschaftlichen und sozialpolitischen Fragen vertraut hat und das Thema Asyl für ihn nicht prioritär war. Über die Jahre ist dieses Vertrauen durch Angst vor dem sozialen Abstieg und die wahrgenommene Bedrohung von außen verschwunden und die Rechtspopulisten fangen die Wähler in dieser Leere ein. Dadurch werden latent ausländerfeindliche Einstellungen plötzlich ausschlaggebend für die Wahlentscheidung. Die AfD schafft keine Einstellungen, sondern ruft sie nur ab.

Wie könnte man diese Ängste demokratischer auffangen?
Zunächst sollte klar sein: Es nützt nichts, die Strategien der Rechtspopulisten zu kopieren, selbst wenn sie abgemildert sind. Die Menschen wählen meist das Original. Erfolgreicher ist es, die Angst um demokratische Werte in Mobilisierung umzuwandeln, wie es zum Beispiel bei der letzten Wahl in Polen geschehen ist. Es ging der Partei des EU-Demokraten Donald Tusk nicht darum, der regierenden rechtspopulistischen Partei PiS Wähler abzujagen, sondern die zu erreichen, die die Demokratie zurückerobern wollten. Ganz allgemein müssen wir akzeptieren, dass es keine kurzfristigen Strategien gibt, um rechtspopulistische Wähler umzustimmen, denn die Parteien, die sie wählen, sind keine Protestparteien mehr. Mittel- bis langfristig sollten Lösungen erarbeitet werden, damit problematische Ansichten in der Bevölkerung, etwa zur Einwanderung, nicht mehr ausschlaggebend sind, um eine antidemokratische oder illiberale Partei zu wählen. Die Sozialpolitik muss an den Stellen greifen, wo Menschen um ihre soziale Sicherheit bangen.

Welche Lösung erscheint Ihnen dabei am dringlichsten?
Man kann schlecht sagen: Erhöht den Mindestlohn oder das Bürgergeld, dann verliert die AfD drei Prozentpunkte. Langfristig erscheinen mir Maßnahmen zielführend, die das Vertrauen in ökonomische und soziale Sicherheit stärken. Die jüngsten Sozialstaatsreformen können auf Dauer einen sol- chen Effekt haben – das wissen wir aber nicht. Das muss man abwarten. Kurzfristige Strategien sollten darauf abzielen, diejenigen zur Wahl zu motivieren, die die Demokratie gegen den drohenden Rechtspopulismus schützen wollen, und die Rechtspopulisten aus den Institutionen herauszuhalten.

Eine grundsätzlichere Abneigung gegen Demokratie, nicht nur von Rechtsradikalen, beinhaltet, dass sie als »talking shop« verschrien ist. Die Ampelkoalition leidet darunter, dass ihre teilweise langatmigen Verhandlungen als Entscheidungsschwäche gelten.
Das Problem ist nicht, dass in einer Demokratie viel geredet und verhandelt wird, sondern dass das als Problem angesehen wird. Ein Mittel gegen Polarisierung sind nämlich diese »talking shops«. Bürgerforen etwa, in denen Menschen zusammenkommen und direkt über gesellschaftliche Themen beraten, können einen positiven Effekt auf demokratische Einstellungen haben. Konfrontation und gemein- same Lösungsfindung fördern Verantwortung und Bestärkung. Eine weitere langfristige Strategie ist, demokratische Werte nicht nur durch lebenslange politische Bildung zu vermitteln, sondern die Wichtigkeit der Teilnahme an politischen Gremien in den Vordergrund zu rücken. Im Moment scheinen ja viele mit Gesetzgebung und -umsetzung unzufrieden zu sein. Das ist ein Problem, das wir alle gemeinsam angehen müssen.

Auch unter Beteiligung von Rechtspopulisten?
Es ist wichtig, diejenigen zu beteiligen, die sich zur liberalen Demokratie bekennen. Das klingt nach Sonntagsrede, aber in einer Zeit, in der durch den Erfolg der Rechtspopulisten andere Parteien in die Versuchung geraten, es ihnen nachzumachen, kann man das gar nicht genug betonen. Man kann Demokratiefeindlichkeit nur beikommen, indem die anderen Parteien an einem demokratischen Strang ziehen, auch wenn sie nicht die gleichen Meinungen vertreten. Wenn die AfD in Ministerien, Ämter und Gerichte einzuziehen beginnt, weil man sie einbinden und dadurch entzaubern will, dann wird antidemokratisches Denken in diese Institutionen einsickern. Rechtspopulisten aus dem demokratischen System herauszuhalten, ist noch vor Wählerrückgewinnung und politischer Beteiligung momentan die wichtigste Maßnahme, um unsere Demokratie zu retten.


Marcel Lewandowsky
Was Populisten wollen

Kiepenheuer & Witsch • 336 Seiten

Miguel Peromingo