Musik

05.04. | Album der Woche

Grace Cummings • Ramona

ATO · 5. April

05.04. | Album der Woche - Grace Cummings • Ramona

Foto: Tajette O'Halloran


Höllische Emotionen

Das australische Stimmwunder Grace Cummings geht inhaltlich gern tief. Auf »Ramona« kreisen ihre Texte um Verlust, Trauer und Selbstzerstörung.

Ob man im Falle von Grace Cummings nun von einer Reibeisenstimme oder von tiefem, rauchigem Gesang sprechen will, ist Geschmackssache. Außer Frage steht, dass die Australierin unheimlich ausdrucksstark ist – das ist auch auf ihrem dritten Album »Ramona« unüberhörbar. Gleichwohl ist jetzt einiges anders als zuvor. Nicht zuletzt, weil die Singer-Songwriterin mit Jonathan Wilson erstmals einen Produzenten an Bord geholt hat. An seiner Seite hat sie sich ein Stück weit vom Folk entfernt, nein, besser: Er geht in einem aufwendig orchestrierten Sound auf. »Ich habe mich nie wirklich als Folkkünstlerin gefühlt«, stellt Grace Cummings im Interview klar. »Der Punkt war, dass ich einzig diese Musik selber produzieren konnte.« Weil sie diesmal bei der Aufnahme Hilfe hatte, konnte sie sich weiterentwickeln: »Ich habe nicht viel über Genres nachgedacht. Das war ein Befrei- ungsschlag für mich. Ich machte einfach, was ich wollte.« Bei »Everybody’s Somebody« behauptet sich ihr expressiver Gesang zwischen Bläsern und Orgelklängen. In »Without You« drängeln sich Streicher ins Bild, das Banjo wirkt wie getupft. »Common Man« lässt Indiepop mit einem leicht rockigen Einschlag hochleben. »Zu dem eher durchschnittlichen Teil in mir habe ich keine richtige Verbindung«, bekennt Grace Cummings. »Ich bin lieber frei wie ein Cowboy.« Somit wäre ein 9-to-5-Job nichts für sie: »Ich bewundere Menschen, die diese Dis- ziplin haben. Mir würde die nötige Geduld für so eine Arbeitsweise fehlen.« Wie ihr Lands- mann Nick Cave täglich zu festen Zeiten am Schreibtisch zu sitzen, das wäre für die Musikerin undenkbar. Trotzdem hat sie 2023 eine wundervolle Coverversion seiner Nummer »Straight To You« vorgelegt. »Wir kommen beide aus Melbourne«, sagt sie. »Früher hielt ich Nick Cave für einen Freak, ich habe ihn extrem bewundert.« Dennoch zieht es Grace Cummings normaler- weise vor, konsequent ihren eigenen Weg zu gehen. Einerseits bezeichnet sie ihre Songs als sehr persönlich, andererseits stellt sie auf ih- rem Album eine Figur namens Ramona in den Vordergrund: »Sie hat Eigenschaften von mir. Für mich ist Ramona wie eine Maske, die ich tragen kann.« Mit dem Lied »I’m Getting Married To The War« erzählt sie von einem Krieg, der in ihr tobt. Von ihrem Kampf mit der Welt. »Help Is On Its Way« kommt deutlich positiver daher: »Ich habe diesen Titel bewusst an das Ende meiner Platte gestellt, um zu zeigen: Da ist ein Licht am Ende des Tunnels.«

Grace Cummings

Grace Cummings
Ramona

ATO, 05. April

Mit fröhlichen Liedern tue sie sich schwer, offenbart Grace Cummings. Sie taucht als Songschreiberin lieber in die dunklen Momente des Lebens ein. Zum Beispiel mit der Zeile »Love is just a thing that I’m trying to live without« in der melancholisch- schwelgerischen Klavierballade »A Precious Thing«. Ihr intensiver Gesang verhehlt ihren Schmerz nicht, man nimmt mit ihren Songs an der Aufarbeitung einer schwierigen Zeit teil. Wer Tiefgang sucht, ist bei dieser Musikerin an der richtigen Adresse.

Dagmar Leischow