Musik
02.10. | Album der Woche
Max Richter • Voices
DeccaFoto: Mike Terry
MAX RICHTER
Voices
Decca • 31. Juli
Viele Feuer brennen
Zehn Jahre hat Komponist Max Richter an » Voices « gearbeitet. Die Welt hat sich schnell gedreht in dieser Zeit. Ein kurzes Gespräch über Hoffnung und Kraft.
Herr Richter, »Voices« ist inspiriert von der
Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte
aus dem Jahr 1948. Welche Bedeutung hat
diese heute?
Die Erklärung wurde im Schatten des Zweiten
Weltkriegs geschrieben – als eine Art Blaupause
für eine bessere Welt, für einen neuen Anfang.
Das Dokument ist daher sehr idealistisch.
Heute finden wir uns aus anderen Gründen in
dunklen Zeiten: die Bedrohung der Natur, der
Aufstieg populistischer Politik, Autoritarismus,
der Rückzug auf Fremdenfeindlichkeit, Brexit,
der Druck durch Technologien und nun die Covid19-
Pandemie. Viele Feuer brennen. Es fühlt
sich an, als wäre es leicht, die Hoffnung aufzugeben.
Doch die Erklärung weist einen Weg nach
vorn, sie schaut auf eine menschlichere, inklusivere
Welt – und die ist für uns auch erreichbar.
Allein in den letzten Monaten scheint vieles
schwieriger und weniger sicher geworden zu
sein. Woher beziehen Sie die Hoffnung, die
aus Ihrer Arbeit spricht?
Ich wollte »Voices« zu einem Werk voller Hoffnung
machen, denn welche Wahl haben wir?
Wenn wir Arbeiten aus Verzweiflung und Wut
schaffen, entstehen nur mehr Verzweiflung und
Wut. Der einzige Weg, die Fragen anzugehen,
mit denen wir uns konfrontiert sehen, ist doch, über Gemeinschaft und Potenzial nachzudenken
– insbesondere mit Blick auf den Aktivismus,
den wir gerade in verschiedenen Bereichen
entstehen sehen. Es geschehen viele Dinge voller
Hoffnung.
Dank Crowdsourcing konnten Sie Stimmen
aus aller Welt verwenden. Welche Qualitäten
sind der menschlichen Stimme zu eigen?
Vorgelesene Texte tauchen immer wieder in
meinen Arbeiten auf. Ich mag das, weil es sehr
direkt und unvermittelt ist – was für gesungene
Texte nicht in gleicher Weise gilt. Gesang bringt
kulturelles Gepäck mit sich: ist es eine opernhafte
Stimme, eine folkige, eine poppige? Das wollte
ich nicht. Ich wollte die Direktheit des Textes,
und ich wollte, dass wir die Person hinter den
Worten spüren.
Bei Ihrer neuen »Sleep«-App verbinden Sie
Musik und Animationen von Planeten zu einer
Möglichkeit, der Realität für eine Weile zu
entfliehen. Wie ist das bei »Voices«?
Bei »Sleep« spielt der Nutzen eine große Rolle,
die Musik hat eine Funktion – sie soll einen
Ort der Ruhe schaffen. Während » Voices « ein
Ort zum Nachdenken über Texte ist, ist » Sleep «
ein Ort für eine Pause vom täglichen Leben.
Manchmal brauchen wir einfach Urlaub.
FAZIT: Richter schließt mit der Veröffentlichung von »Voices« ein Mammutprojekt ab. Dabei wagt das Album nicht nur in seinem strahlenden Optimismus Neues und Erfrischendes, sondern auch in seiner außergewöhnlichen Orchestration für zwölf Kontrabässe, 24 Celli, sechs Bratschen, acht Geigen und eine Harfe. So entspringt der Form der Funke zur Inspiration, die Dinge anders zu denken, zu ordnen und zu gestalten. Was kann Kunst mehr wollen?
Friedrich Reip