Musik

02.07. | Album der Woche

Van Morrison • Latest Record Project Volume I

BMG

Elefant im Raum

Letztes Jahr drohte der nordirische Rockroutinier seinen Ruf mit drei fragwürdigen Anti-Lockdown-Singles zu ruinieren. Was sagt sein neues Album dazu?

Es gibt offenbar Viren, die befallen jeden, und dann gibt es welche, die befallen nur ausgesuchte Großmäuler. Speziell in Großbritannien. Während der strapaziösen Monate, in denen die Regierungen auf der ganzen Welt mit verschiedenen, unterschiedlich nachvollziehbaren Maßnahmen die Corona-Pandemie einzudämmen versuchten, meldeten unter anderem die Popstars Ian Brown, Noel Gallagher und eben Van Morrison Zweifel am korrekten Prozedere an und inszenierten sich als singende Freiheitskämpfer im Namen der blassen Ahnung. „No More Lockdown“, „Stand And Deliver“ und, besonders subtil, „Born To Be Free“ hießen die drei Song gewordenen Diskussionsbeiträge, die Letzterer in die Debatte einbrachte. Zumindest der nordirische Gesundheitsminister Robin Swann war nicht der Ansicht, dass man hier die Kunst vom Künstler trennen sollte und griff den Altmeister scharf an. Weshalb die Pose des verfolgten Propheten so attraktiv ist für Menschen, die erstens gar nicht wirklich verfolgt werden und zweitens sowieso nur vage raunen, ist eine gute Frage, auf die theoretisch auch ein Van Morrison antworten könnte.

Anlässlich von Songtiteln wie „The Long Con“ oder „They Own The Media“ auf der Tracklist wurde schon im Vorfeld befürchtet, dass dessen 42. Album mit der üppigen Laufzeit von zwei Stunden inhaltlich Irritierendes bieten würde, und die Irritation ist im Nachhinein berechtigt. Die Songs, musikalisch irgendwo zwischen abgehangenen Spätmeisterwerken wie Bob Dylans „Time Out Of Mind“ oder Randy Newmans „Dark Matter“ angesiedelt, bieten kompetenten „Celtic Soul“ mit gutmütigem Shuffle. Die Band klimpert und trommelt tight, darüber legen sich fluffige Backings und Engelschöre. Das ist so lange fein, wie der geneigte Hörer es schafft, lieber dem nächsten Orgellauf als manch augenzwinkernder Textzeile zu lauschen. In welche Richtung gezwinkert wird, ist nämlich nicht so klar. Van Morrison singt von „mind control“, und dass er ein „targeted individual“ sei, das aber weiterhin zu „fighten“ gedenke für die Leute, die „the same way that I do“ fühlen. Das mag pandemiegeplagten Seelen guttun, der Grat zwischen Offenbarung und Offenbarungseid indes ist schmal. Für Menschen, die zukünftig noch Verantwortung auf der Welt übernehmen möchten, ist der angebotene Cocktail ausgesprochen demotivierend. Einem Altmeister wie Van Morrison würde neben musikalischer auch inhaltliche Grandezza besser zu Gesicht stehen.

Van Morrison
Latest Record Project Volume I

BMG – 7. Mai

Der musikalische Marathonlauf des 75–jährigen Nationalheiligtums ist mit routiniertem Rhythmus, feinem Backgroundgesang und speckiger Orgel durchaus ansprechend ausstaffiert. Um das genießen zu können, sollte man die teilweise problematischen Texte geflissentlich überhören. Erstklassige Künstler, die drittklassigen Verschwörungsideologien hinterherlaufen, haben eine tragische Fallhöhe, weshalb „Volume II“ hoffentlich wieder mehr Mystisches als Mysteriöses enthält.


Foto: Nick Gray/BMG

Lars Backhaus