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02.03. | Kinostart der Woche

Empire Of Light

02.03. | Kinostart der Woche - Empire Of Light

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Mit »Empire of Light« hat Oscar-Gewinner Sam Mendes seinen bisher persönlichsten Film gedreht: eine Liebeserklärung an das Kino und ein von den eigenen Erfahrungen mit seiner Mutter geprägtes Porträt einer psychisch kranken Frau – verkörpert von Olivia Colman. Wir trafen sie und Mendes zum Interview.

Ms. Colman, die Figur, die Sie in »Empire of Light« spielen, leidet an einer bipolaren Störung, wie man heute wohl sagen würde. Wie schwierig war es, sich in diese Rolle einzuarbeiten?

Olivia Colman: Wissen Sie, ich bin weder eine dieser sogenannten Method Actors, die sich mit Haut und Haaren in ihre Figur verwandeln müssen, noch lege ich großen Wert auf Recherche. In der Regel finde ich alles, was ich für eine Rolle brauche, im Drehbuch, und das war dieses Mal besonders gelungen. Ganz zu schweigen davon, dass Sam Mendes die Figur ja an seine eigene Mutter angelehnt hat. Ich hatte also den Luxus, ihm ganz konkrete Fragen stellen zu können, etwa, wie sie auf ihn wirkte, wenn sie ihr Lithium absetzte, oder woran er merkte, dass es ihr wieder besser ging.

Wie kommt es eigentlich, dass der Film für Sie zwar autobiografisch geprägt ist, allerdings keine Kinderfigur oder ein Alter Ego Ihrer selbst vorkommt, Mr. Mendes?

Sam Mendes: Die Schriftstellerin Margo Jefferson hat mal gesagt, man könne nichts über sich selbst enthüllen, ohne damit nach Liebe oder Mitleid zu heischen. Und genau das wollte ich mit diesem Film eben nicht. Das Publikum sollte nicht an mich denken, weder mit Liebe noch mit Mitleid, sondern an Hilary. Mir ging es wirklich nur um diese Frau und um ihr Ringen mit ihrer mentalen Gesundheit – ein Thema, das zu meiner Verwunderung immer noch auf viel Unverständnis stößt. Ein Kind wäre für die Geschichte dabei zu viel Ablenkung gewesen. Aber ich würde nicht sagen, dass ich selbst im Film nicht vorkomme. Immerhin habe ich ihn geschrieben und inszeniert, er trägt also durchaus meine Handschrift.

Im Zentrum der Geschichte steht neben Hilaryund ihrem jungen Schwarzen Kollegen Stephen das Kino, in dem beide 1980 in der Küstenstadt Margate arbeiten. Ist das auch ein Verweis an Ihre eigene Jugend?

Sam Mendes: Das ist richtig. Das Kino war damals ein Weg für mich, um aus der alltäglichen Realität zu flüchten. Damals gab es noch keine Videorekorder oder DVD-Player, und im Fernsehen liefen Filme meistens nur an den Feiertagen. Man musste also ins Kino gehen, um in diese aufregende Welt der Fantasie einzutauchen. Als Kind ging es mir darum, meinem eigenen Leben zu entkommen. Aber je älter ich wurde, desto mehr fand ich im Kino auch eine Art Ersatzfamilie. Also in den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die mir als Einzelkind mit einer Mutter, die immer wieder in die psychiatrische Klinik musste, eine Art zweites Zuhause boten.

Wissen Sie noch, wann Sie erstmals der Magie des Kinos verfielen?

Sam Mendes: Für mich war das, als ich als 12-Jähriger Steven Spielbergs »Unheimliche Begegnung der dritten Art« sah, auf einer riesigen Leinwand am Leicester Square in London. Die Größe des Saals überwältigte mich, genauso wie die Dunkelheit und die gespannte Stille dieser vielen Menschen, mit denen ich diese Erfahrung teilte. An dieses Gefühl klammere ich mich heute noch.
Olivia Colman: Ich war bei meinem ersten Kinobesuch deutlich jünger, was wohl das Problem war. Meine Großmutter nahm mich mit in eine Vorführung von »Bambi«. Ich fand die riesige Leinwand auch überwältigend und freute mich, dass sie mir vorher Schokolade kaufte. Aber letztlich erwies sich die Sache als viel zu aufregend und ich war so verängstigt, dass wir vorzeitig gehen mussten.

Erinnern Sie sich auch noch daran, welchen Film von Sam Mendes Sie zuerst sahen?
Olivia Colman: Na klar, das war »American Beauty«. Als der Film in die Kinos kam, war ich gerade Schauspielschülerin, und für alle in meinem Jahrgang war der Film ein ziemlich einschneidendes Erlebnis. Sein Erfolg hat uns beflügelt. Als Sam bei den Oscars nominiert war, haben wir alle mitgefiebert – schließlich war er einer von uns, auch aus England und nur ein paar Jahre älter als wir.

Empire Of Light

  1. März

In seinem ersten komplett selbst verfassten Drehbuch hat Sam Mendes sich viel vorgenommen. »Empire of Light« erzählt nicht nur von der mentalen Gesundheit seiner Protagonistin und der Magie des Kinos, sondern auch von Rassismus-Erfahrungen, sexueller Ausbeutung im Job und der britischen Gesellschaft unter Margaret Thatcher. Das ist in einzelnen Szenen sehr glaubwürdig und berührend gelungen, bleibt in der Summe aber oft auch ein wenig an der Oberfläche. Olivia Colman in der Hauptrolle ist allerdings einmal mehr ein Ereignis, und der junge, noch wenig bekannte Michael Ward (»Top Boy«) an ihrer Seite eine ausgesprochen charismatische Entdeckung. Und auch wenn der Film visuell deutlich weniger ambitioniert ist als zuletzt Mendes’ Kriegsdrama »1917«, sorgt Kameramann Roger Deakins wieder für exzellente Bilder.

Patrick Heidmann