Literatur

02.02. | Buch der Woche

Martin Suter • Einer von euch

Diogenes

Da sitzen sie nun also zusammen auf einer Bühne. Der eine im lässigen Chic eines Sportlers im Ruhestand, dunkle Hose, beigefarbenes Sakko, offenes weißes Hemd, dazu Sneaker. Der andere mit streng gebundener Krawatte zu schwarzgrauem Dreiteiler und ebensolchen Lederschuhen, klassisch die nach hinten gegelten Haare, das Einstecktuch komplettiert den gestrengen Look eines Angehörigen der oberen Sphären der Intelligenzija.

Die Bühne bereitet der Diogenes Verlag, vorgestellt werden soll eine Romanbiografie. Der Schweizer Schriftsteller Martin Suter hat sie geschrieben, über Bastian Schweinsteiger, den vielleicht bedeutendsten deutschen Fußballer des angebrochenen Jahrtausends. Ist es verrückt, gewagt, clever oder genial, das Leben eines Menschen – eines ziemlich lebendigen zumal und eines, dessen wichtigste Stationen ob der Prominenz des Protagonisten ohnehin bereits bekannt sind – zu fiktionalisieren? Die ersten Rezensionen zu „Einer von euch“ sind wenig schmeichelhaft. Und sicher, man könnte Suters und Schweinsteigers Tête-à-Tête manches vorwerfen, den mangelnden Fußballsachverstand des einen, das weitgehend ohne Brüche verlaufene und daher wenig Material für mitreißende Spannung liefernde Leben des anderen. Man könnte sich also einreihen in die Kleingeisterei einer deutschen Literaturkritik, die ihre eigene Bräsigkeit in einem beeindruckenden Vorgang kollektiver psychoanalytischer Übertragung fortwährend auf ihre Gegenstände projizieren muss, um ihren schleichenden Bedeutungsverlust zu kompensieren.

Denn (auch) im Falle von „Einer von euch“ verfehlt die Kritik Schönheit und literarischen Wert des Werks. Es geht hier nicht darum, ob ein Kopfball von Didier Drogba ein Aufsetzer war oder nicht, es geht im Kern nicht einmal um den selbstbewussten Jungen aus Oberbayern, der mit ebenso viel Talent wie Überzeugung und mit seiner beeindruckenden Fähigkeit, als „Jetztmensch“ den günstigen Moment für sich zu nutzen, zum absoluten Superstar der wichtigsten Nebensache der Welt werden konnte. Zieht man all das Getöse um die Prominenz des Protagonisten ab, kommt ein kluger, sogar bescheidener, unbedingt liebens- und lesenswerter Roman zum Vorschein, dessen Gegenstand nicht der Medienrummel ist, sondern das kleine Glück. Suter präsentiert Schweinsteiger als Inbegriff der Normalität. Schweinsteiger ist Suters Entwurf eines gelingenden Lebens, vom Aufwachsen in einer heilen Mittelschichtsfamilie über den gelehrigen Schüler bis hin zum Erwachsenen, der das meiste aus dem gemacht hat, was er liebte und am besten beherrschte. Ob das Fußball ist oder Tischlerei oder ein Lehrberuf, wird zur Nebensache. Das Finale dieses Romans ist daher folgerichtig: „Einer von euch“, möchte Suter sagen, hat bei allem Lärm, den sein Leben begleitete, bei allem Rummel, der von außen an seine Person herangetragen wurde, nicht vergessen, worum es eigentlich im Leben geht: Er hat die Liebe seines Lebens nicht nur gefunden, sondern festgehalten.

Da sitzen sie also zusammen auf der Bühne, Martin Suter und Bastian Schweinsteiger. Man kann nicht umhin, ein wenig Verkrampfung zu spüren. Doch dann bittet der ebenso grauhaarige wie grau gekleidete Moderator Marcel Reif Schweinsteigers Ehefrau Ana Ivanovic auf die Bühne. Mit freundlichem Lächeln winkt sie ins Publikum, fast schüchtern, aber einnehmend. Basti lächelt auch, seine Gesichtszüge entspannen sich. Und alle im Saal wissen: Ja, das ist es.

Martin Suter
Einer von euch

Diogenes, 384 Seiten

Johannes Baumstuhl