Literatur

01.12. | Buch der Woche

Joe Keohane • Strangers

Goldmann

Einsam in der Fremde

Infolge der Migrationskrise und der Corona-Pandemie entpuppt sich das Fremde als Bedrohung. Joe Keohane will der Bedrohung mit einer neuen Offenheit begegnen.

Spätestens der Lockdown des vergangenen Jahres hat uns gelehrt, dass der Andere immer auch Gefahrenträger sein kann. Wohl auch deswegen sprach der Philosoph Byung-Chul Han zuletzt von einer Gesellschaft des Misstrauens. Dass wir allerdings dringend wieder Formen des Zusammenkommens erproben müssen, lehrt das Buch „Strangers“ aus der Feder des Journalisten Joe Keohane. Trotz seines erfrischenden Optimismus beginnt auch er mit einer schonungslosen Bestandsaufnahme unserer Zeit. Angefeuert von den Ängsten vor den globalen Migrationsströmen assoziieren viele das Unbekannte mit Chaos, kulturellem Untergang, Krankheit und Verderben – mit bedenklichen Folgen für unser In-der-Welt-Sein: „In einem politischen Klima, das fortwährend den Schulterschluss mit der eigenen Gruppe einfordert, sind wir jedoch paradoxerweise gefährlich einsam geworden.“ Unsere Skepsis isoliert uns demzufolge, bedingt ein Auseinanderdriften der Kontinentalplatten unseres sozialen Raums. Was wir dagegen unternehmen können, lässt sich nicht in einem simplen Maßnahmenkatalog zusammenfassen.

Dennoch erscheint Keohane das Werben für ein Umdenken von zentraler Relevanz. So begünstige das Überwinden unserer Stereotype vom Anderen nicht nur eine Sensibilisierung für Sozialkompetenzen und Mitgefühl, sondern vermittle uns zugleich den Sinn von Abhängigkeiten. Erst aus ihnen und den damit verbundenen Beziehungen entstünden Grundprinzipien von Gerechtigkeit und Fairness. Wovon der Autor hingegen abrät, sind Versuche der Assimilation und der Glättung von Differenzen. Statt der intuitiv gut klingenden Rede von der Vielheit im Einen empfiehlt er, die unterschiedlichen Akteure in einen anhaltenden Austausch zu versetzen: „Wir brauchen immer kleinere Einheiten, die miteinander kooperieren, ausgehend von dem Gedanken, dass wir nicht alle gleich sind, dass wir aber alle hier sind.“ Diese Argumente sind überzeugend und keineswegs naiv, reden sie doch nicht einem beliebigen Relativismus das Wort.

Deutlich wird, dass eine vielfältige Gesellschaft nur unter permanenter Anstrengung gewährleistet werden kann. Weder hilft den Staaten die Einmauerung, noch eine unbesonnene Laissez-faire-Einwanderung. Keohanes Ansatz lädt zur intensiven Auseinandersetzung ein, zu einem Konzept des Weltbürgertums, das aus seiner Sicht eine Haltung des Zuhörens und der Gastfreundschaft einschließt. Wer diese „Art des Kontakts, diese gegenseitige Zuwendung“ zum Anlass nimmt, „unsere nächste soziale Geburtsstunde“ zu proklamieren, muss wahrlich ein Idealist der alten Schule sein. Diese Wiedergeburt rehabilitiert den noch immer schillernden Traum einer toleranten Menschheitsgesellschaft. Kann man Begeisterung für diese Vorstellung erlernen? Durchaus. Keohanes prosaische Erzählweise weiß zu begeistern und erzeugt gleichsam automatische Ansteckung. Neben der Befragung verschiedener Disziplinen zur Bedeutung des Anderen flicht er bewährt persönliche Anekdoten in den Text ein, wodurch uns das Unbekannte stets vertrauter wird. Dieses Buch ist daher vor allem eines: gelebte Positivität.


Joe Keohane
Strangers

Goldmann, 416 Seiten

Björn Hayer