Kitty, Daisy & Lewis

Kitty, Daisy & Lewis

„In England waren die 50er eine echte Scheißzeit.“

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  • Dean Chalkey, Thomas Duffé
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Leserbewertung

Zur Person

25.11.2014, Hamburg, im Büro einer Plattenfirma. Mit ihrem idiosynkratischen Mix aus dem Folk, Blues, Country und Bluegrass der 40er- und 50er-Jahre avancierten die drei Geschwister Kitty, Daisy & Lewis vor rund vier Jahren zu einem internationalen Pop-Phänomen. Mittlerweile haben sie ihr drittes Album „The Third“ veröffentlicht und zeigen darauf, dass sich das Trio mit der Retro-Affinität auch nicht vor jüngeren Musikstilen verschließt. Wir machten uns mit Daisy und Lewis auf die Spurensuche nach ihren Ursprüngen, reflektierten ihre Einflüsse und diskutierten die Vorzüge und Nachteile des Gestern und Heute in Kunst, Gesellschaft und Mode.

Zum Einstieg die entscheidende Frage: Wie konnte es passieren, dass drei sehr junge Geschwister eine solche Liebe für die 40er- und 50er-Jahre entwickelten, nicht nur musikalisch, sondern auch modisch und von der gesamten Haltung her?

Daisy: Das kam alles über die Musik, die wir eben schon als Kinder liebten. Wir haben von klein auf stets zu Hause gesungen und mit Instrumenten gespielt, und die Songs, die unsere Eltern dazu auswählten, stammten eben aus dieser Zeit. Wir alle waren ganz vernarrt in Elvis, in seine Coolness, und liebten den Drei-Akkord-Blues. Sonntags gingen wir dann immer mit unseren Eltern in einen Folk-Club; dort gab es nur alte Leute, von denen viele noch so herumliefen wie damals in den 50ern. Später kam dann noch unsere Begeisterung für Rockabilly hinzu – und schon haben Sie die Mischung, die sich nun heute auch in unserem Style ausdrückt.
Lewis: Für mich war daran der entscheidende Faktor, dass alles stets „wirklich“ geschah – dass wir diese Songs gesungen haben, anstatt uns die alten Platten anzuhören, dass wir in diese Folk-Pubs gingen, um den alten Barden zuzuhören, anstatt ein Konzert im Fernsehen zu sehen. Die Unmittelbarkeit des Erlebens dieser Musik hat auf mich den tiefsten Eindruck gemacht. Natürlich liebe ich es auch jetzt noch, die alten Platten zu hören, doch ist das stets ein viel abstrakterer Vorgang, als sich einfach eine Gitarre zu greifen und diese Songs tatsächlich selber zu singen. So wurde zu dieser Musik in jüngsten Jahren eine intuitive Verbindung hergestellt, die tiefer und bedeutsamer ist als jedes angelernte Wissen darüber. Wir haben die Musik sozusagen schon lange gefühlt, bevor wir überhaupt ein intellektuelles Verständnis für sie entwickelten. Und wir haben sie auch nie als „Folk“ oder „Blues“ bezeichnet; sie hieß für uns immer nur „Dad’s Songs“.

Was macht diese Zeit für Sie so besonders?

Daisy: Dass nahezu alles, was damals hergestellt wurde, noch mit viel Liebe und Sorgfalt entstand. Schauen Sie sich nur die Klamotten an – sie sitzen am Körper heute noch genauso gut wie vor 60 Jahren, sie fallen schön und haben ihren Glanz behalten. Versuchen Sie das mal mit einem Pullover von H&M.
Lewis: Ich besitze überhaupt keine sonderlich ausgeprägte Faszination für diese Ära, meine Faszination bezieht sich vielmehr auf die Authentizität von Musik, Kunst und Mode. Dass die sich gerade in dieser Zeit sehr stark manifestiert hat, weil Musik eben noch nicht ganz so intensiv beeinflusst war von Aspekten wie Hittauglichkeit und Marketing, ist ja offensichtlich. Entsprechend kehrt man eben zwangsläufig immer wieder zu dem zurück, in dem man die größte Wahrheit findet. Dass es heute ungleich schwerer fällt, diese Wahrheit in der Kunst zu finden, ist nur ein Zeichen unserer schnelllebigen Zeit und nicht unsere Schuld. (lacht)

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