
Karl Deisseroth
„Wenn wir uns selbst verstehen, verstehen wir auch einander.“
Zur Person
Karl Deisseroth, Jahrgang 1971, ist Professor für Biotechnik und Psychiatrie. Er studierte in Harvard unter anderem Creative Writing und unterrichtet heute an der Stanford University. Neben seiner Lehr- und Forschungsarbeit war er jahrelang in der ambulanten Psychiatrie tätig, nach wie vor behandelt er zum Beispiel Menschen mit Diagnosen aus dem Autismus-Spektrum. Seine Forschung hat große Beachtung in internationalen Medien erfahren, für die Entwicklung bahnbrechender biotechnischer Verfahren wie der Optogenetik hat er renommierte Medizin-Preise erhalten. Deisseroth lebt mit seiner Frau und fünf Kindern in Palo Alto, Kalifornien.
3. November 2021, Berlin / Stanford. Der US-amerikanische Psychiater, Neurowissenschaftler und Bioingenieur Karl Deisseroth sitzt entspannt vor dem Computerbildschirm in seinem nicht sehr aufgeräumt wirkenden Büro an der kalifornischen Stanford University. In T-Shirt und mit verwuscheltem Haar unter der Kappe wirkt er kaum wie jemand, der seit Jahren zu den favorisierten Anwärtern auf einen Nobelpreis zählt. Mit bemerkenswerter Klarheit beschreibt Deisseroth in unserem rund 90-minütigen Gespräch, was er auch in seinem jüngsten Buch „Der Stoff, aus dem Gefühle sind“ darlegt: Das menschliche Gehirn ist schon längst kein Mysterium mehr.
Karl Deisseroth, warum verorten wir Gefühle gern im Herzen oder im Bauch, zumindest sprachlich? Eigentlich entstehen sie ja im Kopf.
Über diese Frage wird schon lange nachgedacht, Wissenschaftler haben auch versucht zu messen, wo genau Gefühle erlebt werden. Besonders starke Eindrücke, positiv oder negativ, erfahren wir in unterschiedlichen Teilen unseres Körpers. Wenn wir zum Beispiel das Gefühl haben, dass jemand unsere Grenzen verletzt oder überschreitet, stellen sich die Rücken- und Nackenhaare auf. Dafür gibt es einen konkreten evolutionären Grund, die aufgestellten Haare sollen uns größer, stärker und imposanter erscheinen lassen und das Gegenüber einschüchtern. Aber nehmen wir ein Beispiel, auf das Sie angespielt haben: die Schmetterlinge im Bauch des Verliebten. Einem romantisch aufregenden, potenziellen Partner nahe zu sein, ist eine positive Empfindung – was uns motiviert, den eingeschlagenen Weg weiterzuverfolgen. Die physische Verortung im Brustkorb verursacht derweil ein paar interessante Dinge.
Welche sind das?
Zum einen wird unser Hungergefühl unterdrückt, man hat ein Gefühl der Sättigung. Das können wir auch bei Tieren beobachten, die auf der Balz oder paarungsbereit sind – sie sollen durch nichts von diesem Prozess abgelenkt werden. Im Laufe der Evolution, im Laufe des Lebens in der Wildnis hat sich erwiesen, dass die Gelegenheiten zur Fortpflanzung extrem wichtig sind und sich vielleicht nicht so oft bieten – entsprechend dieser Logik werden andere Triebe, die dieses eigentliche Ziel stören könnten, unterdrückt. Die Evolution hat dafür gesorgt, dass wir bestimmte Emotionen in bestimmten Körperregionen verorten. In den meisten Fällen geschieht das nicht beliebig.