Literatur
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Handverlesen
The Sound of Music
Musik und Literatur stehen seit jeher in einer fruchtbaren Wechselbeziehung - egal, ob es sich dabei um schreibende Musiker:innen oder musikverliebte Romanfiguren handelt. Die folgenden sechs Publikationen widmen sich eben diesem Zwischenraum der Künste - mal biographisch, immer persönlich und mit viel Liebe zum Detail.
01. Frank Goosen
The Beatles
tacheles! / ca. 3 Stunden / gelesen vom Autor
„Gib mir kein Geld, gib mir lieber ein paar Platten für meinen Jungen!” Mit dem Spruch ließ sich einst Frank Goosens Vater für Schwarzarbeit entlohnen – und weckte im Junior eine lebenslange Liebe für die „Fab Four”. Sein neues Hörbuch hat der Bochumer selbstverständlich selber eingesprochen – und es macht einfach Spaß, ihm zuzuhören. Denn sein Tonfall klingt immer ein bisschen so, als würde einem ein Freund am Tresen die Welt erklären. Wer also wäre ein besserer Reiseführer ins Zauberland der Beatles, als Goosen, der seinen Pop-Exkurs gern mit Selbstironie auflockert. Das klingt dann zum Beispiel so: „Kurz nach meiner Geburt hörten die Beatles auf, Konzerte zu geben. Der ursächliche Zusammenhang zwischen diesen beiden Ereignissen ist unter Historikern umstritten.” Nachdem wir erfahren, wie Goosen zum Beatles-Jünger wurde, nimmt er uns mit auf eine Tour durch Liverpool, bei der ein verrückter Guide ständig Detailwissen abfragt. Aber wer mal, wie Goosen, Sex hatte, während „Yellow Submarine” lief, der schafft auch diese Hürden. Locker!
Gerrit Terstiege
02. André Boße
Voyage, Voyage
Reclam / 352 Seiten
Was das internationale Renommee betrifft, dürfen Musiker aus Deutschland mit Fug und Recht neidvoll auf ihre Kollegen in Frankreich blicken. Dennoch spielt der Pop aus dem Nachbarland auf der Weltbühne hinter der englischsprachigen Musik eine untergeordnete Rolle. Es ist Zeit, diesen Status zu ändern, lautet der Subtext von »Voyage Voyage – Eine Reise durch die französische Popmusik«. Mit dem Sachbuch hat der Kulturjournalist und GALORE-Autor André Boße eine kleine Kulturgeschichte der Popmusik Frankreichs verfasst. Streng subjektiv in der Auswahl, stellenweise mit persönlichen Anekdoten unterfüttert, immer aber durch große Fachkenntnis geprägt geht der Autor dabei sowohl in die Tiefe als auch in die Breite. Boße porträtiert sie alle, von Serge Gainsbourg bis Daft Punk, aber er erwähnt auch Außenseiter wie die multidisziplinäre Künstlerin Brigitte Fontaine, oder die One-Hit-Wonder-Sängerin Desireless, nach deren Single »Voyage Voyage« aus den 1980ern dieses Buch benannt ist. Die Porträts der Musiker sind in Kapiteln nach Genres geordnet, etwa »Le rock et le punk«, »Les Pionniers des années 90« oder »Les individualistes«. Daneben entwickelt der Autor – auch in Gesprächen mit französischen Künstlern – sieben Thesen darüber, was denn die Popmusik aus Frankreich so besonders macht. Die stichhaltigste: Im Gegensatz zum Pop aus Amerika und Großbritannien kommt in Frankreich der Text vor der Musik, nicht nur im kompositorischen Sinne, sondern auch im übertragenen.
Albert Koch
03. Masayoshi Sukita
David Bowie by Sukita
Delius Klasing / 128 Seiten
Schillernde Outfits, poetische Texte und eine energiegeladene Performance – so begeisterte David Bowie Millionen Fans. Als Ziggy Stardust, Major Tom oder Thin White Duke bewies er nicht nur auf seinen gefeierten Alben Innovationskraft und Experimentierfreude. Bowie zeigte der Welt, dass man sich immer wieder neu erfinden muss, um sich selbst treu zu bleiben. Zum fünften Todestag der Pop-Ikone präsentiert Fotograf Masayoshi Sukita einen außergewöhnlichen Bildband über den gefeierten Musiker, Schauspieler und Produzenten. In ihrer über 40-jährigen Zusammenarbeit fing Sukita ein, was Bowie ausmachte – in ikonischen Schwarz-Weiß-Bildern ebenso wie in schrillen Portraitfotos. Die besten Bilder wurden eigens für dieses Buch ausgewählt und mit aufschlussreichen Texten untermalt. Das ist teilweise spektakulär, mit eindrucksvollen Texten, die die Nähe zwischen Musiker und Fotograf einfangen. "Bowie war anders als die anderen Rock’n’Roller, er hatte das gewisse Etwas, von dem ich wusste, dass ich es in Fotos umsetzen wollte", erinnert sich Sukita an seine erste Begegnung mit dem Ausnahmemusiker im Jahr 1972. Sukitas Werk spiegelt das bewegte Leben des Künstlers ebenso wie eine bewegte Zeit. Durch seine Kameralinse betrachtet er die manipulativen Strategien zur Selbstdarstellung, zur Erschaffung von Kunstfiguren, die in den 70ern in Kunst und Musik ihren Anfang nahmen und in David Bowie ihren Meister fanden. Ein Kaleidoskop aus zeitlosen Portraits, weit entfernt von den üblichen Rockstar-Schnappschüssen.
Johannes Baumstuhl
04. Leonard Cohen
Die Flamme - The Flame
Kiepenheuer & Witsch / 352 Seiten
2016 verstarb Leonard Cohen und die Welt wurde um einen Ausnahmekünstler ärmer. Ursprünglich wollte der Musiker Autor werden. Ein Poet war er in jedem Fall, wie nicht nur sein kurz vor seinem Tod vollendetes Buch „Die Flamme | The Flame“ zeigt. Außergewöhnlich nah kommt man dem Kanadier mit dieser Sammlung, in der neben zahlreichen unveröffentlichten Gedichten auch handschriftliche Notizen abgedruckt sind. Hunderte von Notizbüchern soll Cohen gehortet haben, viele der Einträge finden Eingang in sein letztes Werk. Die Assemblage mit skizzenhaften Selbstportraits, mit denen Cohen ganz unterschiedliche Stimmungen zu den Texten einfängt, erweitert den Band um eine weitere künstlerische Ebene. Ein genialer Schachzug ist zudem die freie Hand, die den unterschiedlichen Übersetzern überlassen wurde. Wortwörtlich, nach rhythmischen Gesichtspunkten oder inhaltlich bahnen sich diese einen poetischen Weg durch Cohens Zeilen, die Seite an Seite auf Deutsch und Englisch abgedruckt wurden. Vorangestellt ist der Sammlung ein erhellendes Vorwort seines Sohnes Adam Cohen, das die Entstehung des Buches beschreibt. Unbedingt wollte Cohen dieses Projekt abschließen: In einem Interview mit dem New Yorker, wenige Wochen vor seinem Tod, sagte er, er wäre bereit zu sterben, er bräuchte nur noch genug Zeit, dieses letzte Buch zu vollenden. So arbeitete er bis kurz vor seinem Tod an seinem literarischem Vermächtnis, das einen authentischen Blick auf seine verschlungenen Lebenswege bietet. Mit der hochwertigen Ausstattung wird dieses besondere Werk schlussendlich abgerundet. Eine dichte, persönliche, politische und kunstvolle letzte Veröffentlichung hat Cohen hier nicht nur seinen Fans hinterlassen.
Marina Mucha
05. Pink Floyd
Their Mortal Remains
Edel Books / 320 Seiten
Mehr Katalog als Biografie ist dieser neue Band über die legendären Artrocker Pink Floyd. In der Masse der in unschöner Regelmäßigkeit auf dem Markt landenden Coverschauen und Huldigungen sticht „Their Mortal Remains“ insofern heraus, als dass es wie die gleichnamige Ausstellung eines wahren Kenners kuratiert wurde: Aubrey Powell, seines Zeichens ehemaliges Mitglied des nicht minder legendären Design-Studios Hipgnosis. Mit wenigen Ausnahmen haben Powell und sein verstorbener Partner Storm Thorgerson die 50-jährige Karriere der kamerascheuen Musiker begleitet. In zwei Abschnitten, genannt „Die Band“ und „Die Alben“, liegen zum ersten Mal Notizen, Briefe, Fotografien, Originalentwürfe, Filme, Instrumente und viele weitere Devotionalien vor, akribisch zusammengestellt und über begleitende Essays in ihren zeitlichen Zusammenhang gesetzt. Die Ausstellung läuft noch bis Oktober im Londoner Victoria And Albert Museum, kurz darauf soll sie in Dortmund gastieren. Dieses edle Werk erhöht die Vorfreude.
06. Patti Smith
M Train
Kiepenheuer & Witsch / 294 Seiten
„Ich betrachte meine Hände. Ich bin mir sicher, ich könnte endlos über nichts schreiben. Wenn ich nur nichts zu sagen hätte.“ Eines vorab: Man muss nicht unbedingt wissen, wer Patti Smith ist, um schon nach den ersten Sätzen sein Herz ein bisschen an dieses, ihr jüngstes Buch zu verlieren, ihm gar dauerhaft ein Plätzchen in der Ecke des Bücherregals zu reservieren, wo stolz die Bände stehen, die stets aufs Neue zum Entdecken einladen. Natürlich ist die Wahrscheinlichkeit, dass Ihnen Patti Smith ein Begriff ist, wenn Sie dieses Magazin in Händen halten, vergleichsweise groß – und tatsächlich wäre „M Train“ noch besser als im Regal an Ihrer Seite in Ihrem Lieblingscafé aufgehoben, damit seine Seiten den melancholischen Geruch von Rauch annehmen können und vor allem bald von ein paar Kaffeeringen geziert werden, die ihm gut zu Gesicht stünden. Also: Vorkenntnisse unnötig, Widerstand zwecklos, denn Patti Smith, die „Godmother of Punk“, die im Jahr 1975 mit dem rauen „Horses“ eines der großen Debütalben veröffentlicht hat (im US-amerikanischen „Rolling Stone“ rangiert die Platte auf Platz 44 der „500 besten Alben aller Zeiten“), nimmt ihre Leser hier nicht mit in die von allerlei Löwen und Clowns bespielte Manege des ewigen Zirkus Rock’n’Roll, sondern lädt sie vielmehr ein, die stillen Momente abseits der Bretter, die die Welt bedeuten, noch einmal mit ihr zu besuchen. Ihre besten Argumente sind dabei ihr Auge fürs Details und vor allem ihre wunderbare, unmittelbar vereinnahmende Erzählstimme, die Brigitte Jakobeit vortrefflich ins Deutsche zu übertragen wusste. Wem „Just Kids“ Freude bereitet hat, den anno 2010 veröffentlichten Erinnerungen an die gemeinsame Zeit mit Fotograf Robert Mapplethrope, wird Patti Smith auch in „M Train“ wieder gern zuhören.
Friedrich Reip
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