Literatur

Rubrik

Handverlesen

Rubrik - Handverlesen

Der Apokalypse trotzen

Wie mit der Klimakrise umgehen? Diese Frage hat längst auch in der Literatur Einzug gehalten und reicht von der US-amerikanischen "Climate Fiction" bis hin zum deutschen Ökothriller. Fünf Autor:innen, die sich in ihren Werken der Problematik annehmen: T.C. Boyle, Susan Bauer-Wu, Naomi Klein, Maja Lunde und Alexander von Schönburg.


01. T. C. Boyle
I Walk Between The Raindrops

Hanser / 272 Seiten

T.C. Boyle

Menschen wollen dringend etwas anderes lesen als deprimierende Nachrichten über die Klimakatastrophe und die Einschüchterungsversuche der extremen Rechten, glaubt T.C. Boyle. Die 13 Storys seiner mittlerweile zwölften Geschichtensammlung mit dem Titel »I Walk Between The Raindrops« bewegen sich alle ganz dicht am Zeitgeist. Aber sie kommen nie mit moralischem Zeigefinger daher, sondern wollen unterhalten. Und das ist gut so. Sexuelle Belästigung, Amokläufe, Künstliche Intelligenz, Überwachungsstaat und kulturelle Aneignung bilden den Rahmen der Erzählungen. Aber eigentlich geht es immer nur um ganz normale Menschen und ihre Probleme. Ob es das ältere Ehepaar aus Buenos Aires ist, das sich zum 40. Hochzeitstag eine Luxuskreuzfahrt gönnt und mit der wochen- langen Covid-19-Quarantäne an Bord besser klarkommt als das hormonstrotzende frisch verheiratete junge Pärchen aus den USA in der Kabine nebenan. Oder der junge Mediziner im dritten Studienjahr, der fatalerweise eine Beziehung zu dem Laborhund aufbaut, an dem er seine Operationen übt, ihm Leckerchen bringt, mit ihm Gassi geht und ihn am Ende entführt. Subkutan injiziert der im vergangenen Jahr 75 gewordene T. C. Boyle seinen Lesern die eigenen Werte, ohne sich über sie zu erheben. Der Literatur-Punk von früher ist er schon lange nicht mehr. Auch, wenn seine Storys mitunter noch über die Stränge schlagen. Er weiß, wie wichtig Hoffnung auf dieser Welt ist. Und sei es nur die, von Zeit zu Zeit gute Geschichten lesen zu dürfen.

Welf Grombacher


02. Susan Bauer-Wu
A Future We Can Love

Goldmann / 288 Seiten

Susan Bauer-Wu

Mindfulness-Expertin Susan Bauer-Wu hat sich der Klimakrise angenommen: inspiriert durch das Gespräch zwischen zwei der wichtigsten Lichtgestalten unserer Zeit, Greta Thunberg und dem Dalai Lama, sowie durch die Meinungen zahlreicher Wissenschaftler:innen, spiritueller Lehrer:innen und Klimaaktivist:innen berichtet sie davon, wie wir einen Weg aus der Krise finden können, die uns ausnahmslos alle angeht und deswegen auch unser aller Aufmerksamkeit erfordert. Anschaulich nimmt die in Virginia lebende US-Amerikanerin, die auch Präsidentin des Mind & Life Instituts ist, in diesem 288 Seiten starken Taschenbuch die Hintergründe des Klimawandels in den Blick und geht der Frage nach, ob und wie sich die Erde selbst heilen kann - sei es mit oder ohne "Herz und Verstand" der Menschen. In vier Teilen vermittelt Bauer-Wu zunächst das nötige Grundwissen, um dann über "Leistungsfähigkeit" und "Wille" zum Kapitel und ins "Handeln" zu kommen. Und auch wenn man mit Blick auf die zahlreichen Veröffentlichungen zu diesem Thema durchaus ein anderes Gefühl empfinden kann: "A Future We Can Love" zeigt mit seiner optimistischen Botschaft einmal mehr, dass es von Büchern, die sich mit der Klimakrise beschäftigen, einfach nicht genug geben kann.

Nicola Drilling


03. Naomi Klein
Warum nur ein Green New Deal unseren Planeten retten kann

Hoffmann und Campe / 352 Seiten

Naomi Klein

Die kanadische Aktivistin Naomi Klein schlägt in ihrem Buch einen "Green New Deal" der Umwelt- und Sozialmaßnahmen vor, um den Planeten vor dem Kollaps zu retten. Vor einigen Wochen hat der amerikanische Bestseller-Autor Jonathan Franzen ("Die Korrekturen") seine Landsleute mit einem apokalyptischen Essay zur Klimakrise im Magazin New Yorker verschreckt. "What If We Stopped Pretending?", lautete die Überschrift, wie wär’s, wenn wir aufhören würden, uns was vorzumachen? Franzen rät im Grunde dazu, sich mit der unausweichlichen Katastrophe anzufreunden und das Prinzip Hoffnung neu zu denken – die Erderwärmung auf nur zwei Grad drosseln zu können, sei völlig illusorisch. Natürlich können solche desasterphilosophischen Überlegungen auch leicht in den Fatalismus führen, und sonderlich inspirierende Zukunftsentwürfe lassen sich daraus auch nicht ableiten. Da ist das Buch "Warum nur ein Green New Deal unseren Planeten retten kann" schon von anderem Kaliber weiterlesen.

Patrick Wildermann


04. Maja Lunde
Die Geschichte des Wassers

Der Hörverlag / 8 Std. 10 Min.

Maja Lunde

„Es ist nur Wasser“, brüllt Signes Mutter. Man könnte Donald Trump diese Worte in den Mund legen und kaum jemand käme auf die Idee, die Glaubwürdigkeit der Quelle zu hinterfragen. In Zeiten, in denen Staatsoberhäupter den Klimawandel leugnen und sich der Diskrepanz zwischen den Begriffen Wetter und Klima nicht bewusst zu sein scheinen, sind Romane wie „Die Geschichte des Wassers“ umso wichtiger. Nach „Die Geschichte der Bienen“ mit dem Maja Lunde sich monatelang auf Platz 1 der Bestsellerlisten hielt, setzt sie sich im zweiten Teil ihres geplanten Klimaquartetts mit dem Element Wasser auseinander. Die Hörbuchversion teilen sich zwei Sprecher, was - obwohl eher ungewöhnlich - in diesem Fall gänzlich Sinn ergibt, da die beiden Protagonisten nicht nur das Geschlecht voneinander unterscheident, sondern auch die Zeit. Signes Schicksal ereignet sich im Jahr 2017. David und seine kleine Tochter Lou kämpfen 24 Jahre später mit den Folgen. Das Einzige, was einem an Lundes Roman missfallen könnte, ist die erschreckende Nähe zur Realität.

Katharina Raskob


05. Alexander von Schönburg
Der grüne Hedonist

Piper / 204 Seiten

Alexander von Schönburg

Alexander von Schönburgs Konzept der hedonistischen Nachhaltigkeit setzt auf Weltrettung in style statt auf Angst und Verbote. Vintage-Smoking an und ab in den Urban Garden! Wer die Welt ändern will, muss eine Vorstellung vom Schönen und Guten haben und das Abschreckende nicht scheuen. Ein Blick in die antike Dichtung kann da nicht schaden. In Petrons "Satyricon" gibt der ehemalige Sklave Trimalchio ein Gastmahl, das als Symbol für dekadente Prasserei in die Geschichte einging. Ein Keiler mit Ferkeln aus Knusperteig wird aufgetischt, das Wildschwein tranchiert und aus dem Bauch flattern lebende Drosseln!Für Alexander von Schönburg könnte die Lektüre des "Satyricon" als Primaner ein Erweckungserlebnis gewesen sein, denn nichts verabscheut er mehr als hemmungslose Dekadenz. Als Arbiter Elegantiarum sieht er sich in der Verantwortung, die Welt aktiv mitzuretten und last but not least vor schlechtem Geschmack zu bewahren. Seine Position ist klar: Angst und Selbsthass sind keine geeigneten Mittel, um die Menschheit vor einem ökologischen Desaster zu bewahren. Greta Thunbergs Angstbotschaften setzt er Elon Musks Credo entgegen, dass grüner Lifestyle attraktiv sein muss. Von Schönburg rümpft die Nase über neureichen Bling-Bling, macht sich aber die Erkenntnis zunutze, dass es immer Eliten gibt, die von weniger Privilegierten nachgeahmt werden. weiterlesen

Ute Cohen


06. T. C. Boyle
Blue Skies

Hanser/ 400 Seiten

T.C. Boyle

Des Menschen (und der Natur) größter Feind ist: der Mensch. Wer gern T.C.-Boyle-Romane liest, hat dies schon lange erkannt. Spätestens seit seiner apokalyptischen Sci-Fi-Dystopie »Ein Freund der Erde«, die Boyle bereits vor über zwei Jahrzehnten schrieb, weiß man, wie sich einer der spannendsten US-Autoren der Gegenwart unser aller Zukunft vorstellt: Wir werden alle untergehen. Denn, so sagte er selber in einem GALORE-Interview: »Es ist bereits fünf nach Zwölf. (…) Die grimmige Seite der Natur zeigt sich und richtet unsere Lebensgrundlagen Stück für Stück zugrunde.« Von dieser grimmigen Seite erzählt auch »Blue Skies«, beispielhaft an zwei Regionen: zum einen Florida, das peu á peu absäuft, zum anderen die Küste Kaliforniens, die von fortwährenden Waldbränden verzehrt wird. In Florida stoßen wir auf die betagten Öko-Krieger Ottilie und Frank, ein Ehepaar, das die Zeichen der Zeit erkennt und versucht zu tun, was man eben noch so tun kann – etwa, den häuslichen Bedarf an Cookie-Mehl auf Insekten umzustellen. Während ihre Tochter Cat, ein angehender Social Media-Star und damit angemessen selbstverliebt, nebst ihrem zukünftigen Verlobten Todd in Kalifornien lebt und einfach so tut, als wären die wöchentlich eintretenden Naturkatastrophen nun einmal der Lauf der Dinge. weiterlesen

Sascha Krüger


Besuchen Sie doch mal eine Buchhandlung, die Teil unserer Initiative für den unabhängigen Buchhandel ist und stöbern Sie in den ausgewählten Sortimenten. Alle Teilnehmer finden Sie unter: www.galore.de/buchhandel.