Literatur

Literaturtipp der Woche

Felicitas Hoppe • Prawda

Auf den Spuren zweier russischer Schriftsteller unternimmt die Büchner-Preisträgerin Felicitas Hoppe „eine amerikanische Reise“. Es ist ein poetischer Roadtrip geworden.

Als Ilja Ilf und Jewgeni Petrow im Jahre 1935 in die USA aufbrachen, um das Land zehn Wochen lang von Ost nach West und wieder zurück zu durchfahren, sprach keiner von ihnen ein Wort Englisch. Der Auftrag für die automobilisierte Entdeckungsreise kam jedoch von einer Zeitung, die ihren Anspruch schon im Titel trug, denn „Prawda“ bedeutet „Wahrheit“, und die hatten die Sowjets ja damals schon gepachtet. Der Ausflug der beiden beliebten Schriftsteller sollte nur bestätigen, was die Kommunistische Partei an Erkenntnissen über das Objekt ihrer Hassliebe, das industrialisierte Riesenreich mit dem robusten Selbstbewusstsein, schon zu haben glaubte. Statt eines propagandareifen Berichts stellte sich die Niederschrift von Ilf und Petrow unter dem schönen Namen „Einstöckiges Amerika“ allerdings als erstaunlich ambivalente Affäre zwischen Respekt und Belustigung, Kritik und Anteilnahme heraus, die überraschend modern geblieben ist. 2011 verfasste Felicitas Hoppe ein Vorwort für eine Neuauflage des Buches, fünf Jahre später machte sich die Weltumseglerin selbst auf die Socken, um den Spuren von Ilf und Petrow zu folgen. „Die höhere Kunst des Reisens besteht, worin sonst, in der Kunst der beherzten Flucht, im blitzschnellen Kratzen der Kurve, um sich rechtzeitig über die Grenze zu retten, bevor die bissigen Hunde kommen, gegen die bekanntlich kein Zauberwort hilft“, schreibt sie, und zu ihrer Zuhörerschaft gehören in erster Linie drei Wegbegleiter, die bunte Pseudonyme tragen und sich mit ihr den Mietwagen teilen. Beherzt, blitzschnell, bissig und zauberhaft sind dabei nur vier von den Vokabeln, mit denen man Hoppes Reiseerzählung zu Leibe rücken könnte, denn die spart so gut wie alles aus, was man sich von touristischer Lektüre versprechen könnte. Schon der feste Boden der amerikanischen Topographie wird in ihrer Sprache zu einem fliegenden Teppich, den man sich zwischendurch mit Lucky Luke, Karl May und Mark Twain teilen muss, bevor er einen an unwahrscheinlichen Stellen wieder absetzt. In Sing Sing zum Beispiel, wo der elektrische Stuhl inzwischen relativ gefahrlos besichtigt werden kann, in Wayne Gretzkys Elternhaus, wo dasselbe für seine Trophäensammlung gilt, oder im Amerikanischen Museum für Innovation. Dort steht eine Phiole in der Vitrine, die angeblich Thomas Edisons letzten Atemzug enthält, abgefüllt an seinem Totenbett von Henry Ford persönlich. Wichtiger als solche Geschichten von irdischer Magie und himmlischer Popkultur ist aber sowieso das Versmaß, mit dem Felicitas Hoppe ihren Bericht taktet, der sich laut vorgetragen wie ein Monumentalgedicht anhört, obwohl er eigentlich nur von Motels und Minibar-Gedanken handelt, im Land der begrenzten Unmöglichkeiten. Die Fragen „Wie leben sie?“ und „Was denken sie?“, mit denen Ilf und Petrow aufgebrochen und unverrichteter Dinge wieder zurückgekehrt waren, bleiben auch bei Hoppe ohne Antwort. Vielleicht sind Reisen aber auch immer dann am schönsten, wenn das bereiste Gebiet seine Geheimnisse nicht preisgibt, schon gar nicht als Bücherwissen und angebliche Wahrheit.

Markus Hockenbrink


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