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Kinofilm der Woche

The Florida Project

Prokino • 15. März

Seit den Achtzigern gehört Willem Dafoe zu den spannendsten und meistbeschäftigten Schauspielern weltweit. Selten spielte er so subtil wie in „The Florida Project“.

Mr. Dafoe, viele Ihrer bekanntesten Rollen sind Bösewichte und Unsympathen. War es ungewohnt, mal den emotionalen Ruhepol eines Films zu verkörpern?

Ich weiß, was Sie meinen, doch als Schauspieler treffe ich solche Unterscheidungen eigentlich nicht. Ich muss in jeder Figur die Menschlichkeit finden, egal ob sie nett oder ein fieses Arschloch ist. Die Herausforderung lag hier nicht darin, dass dieser Mann ein gutes Herz hat.

Sondern?

Sein Platz in der Geschichte ist speziell. Einerseits ist er als Motel-Manager natürlich eine Autoritätsperson, andererseits lebt er selbst dort und ist ein ganz normales Mitglied dieser Gemeinschaft. Sein Verhalten ist nicht das Resultat von Altruismus und Liebenswürdigkeit, sondern eher zweckmäßig. Das spricht Bände über die Subtilität des Films, denn Sean Baker braucht nie den Holzhammer, um seine Themen und Emotionen zu vermitteln.

Wie war es für Sie, der einzige Vollprofi unter lauter Kinder- und Laiendarstellern zu sein?

Das war für mich der vielleicht spannendste Aspekt an diesem Film. Fast alle standen zum ersten Mal vor der Kamera: Kinder, Laien, auch Leute, die tatsächlich dort in diesen Motels wohnen. Man kann vorher nicht wissen, ob sie aus sich herausgehen können und in der Lage sein werden, beispielsweise Szenen zu wiederholen. Darin liegt ein Risiko, keine Frage. Aber gleichzeitig ist es ein enormer Gewinn, denn meistens sind solche Darsteller viel instinktiver und natürlicher. Sean hat mit dieser Art des Arbeitens viel Erfahrung und es ganz wunderbar geschafft, Situationen herzustellen, in denen sich alle wohlfühlen.

Das gesamte Setting war sehr natürlich.

Das stimmt, die Realität und unsere Filmwelt lagen nah beieinander. Klar, abends im Hotel konnte ich abschalten. Tagsüber waren wir jedoch in diesem Motel, in dem der Film spielt und dort leben eben solche Menschen, wie wir sie zeigen. Statt eines Wohnwagens hatte ich für die Drehpausen ein Motelzimmer und ich bin sicher, dass auch während unserer Anwesenheit unten an der Ecke mit Drogen gedealt wurde. Das ist schon bittere Ironie, wenn man bedenkt, wie nah Disney World ist. Und gleich daneben herrscht die Armut derer, die durch das in den USA ja ohnehin eher durchlässige soziale Netz gefallen sind. Aber man darf sich nichts vormachen: auch anderswo suchen solche Menschen in Billigmotels Unterschlupf. Das gibt es in Kalifornien, Kentucky oder Massachusetts genauso wie in Florida.

Fazit: FAZIT: Sean Baker, Meister des subtilen Realismus, widmet sich erneut einem spezifischen Milieu. In einem Billig-Motel vor der Toren von Disney World versuchen die 6-jährige Moone (sensationell: Brooklynn Prince) und ihre überforderte Mutter (Bria Vinaite) Obdachlosigkeit und Hunger zu trotzen. Der Plot bleibt überschaubar, dafür rühren die Wahrhaftigkeit und der vorurteilsfreie Blick.

Interview: Patrick Heidemann