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Filmtipp der Woche: "Roma"

Warner · 12. März

Für „Roma“ verwandelte der mexikanische Regisseur Alfonso Cuarón die eigene Vergangenheit in ein filmisches Schwarzweiß-Glanzstück und wurde dafür mit seinem zweiten Regie-Oscar (nach „Gravity“) ausgezeichnet. Statt im Kino feierte der vielbeachtete Film seine Premiere ursprünglich über einen Streaminganbieter, nun kommt das Werk endlich auch auf konventionellem Weg in die Wohnzimmer.

Herr Cuarón, Sie erzählen in „Roma“ von Ihrer Kindheit, in der Protagonistin Cleo setzen Sie Ihrem früheren Kindermädchen ein Denkmal. Warum wollten Sie diese Geschichte als Film erzählen?
Wenn ich das so genau wüsste. Für mich war dieses Projekt eine dieser Dinge, die man einfach machen muss. Ich hatte den Gedanken daran lange mit mir herumgetragen, und irgendwann war die Zeit einfach reif. Ich spürte plötzlich das Bedürfnis, mich mit meinem Leben auseinanderzusetzen und die Vergangenheit aufzuarbeiten. Und das nicht nur in Hinblick auf meine Familiengeschichte, sondern auch was mein Verhältnis zu meinem Land und zur mexikanischen Gesellschaft angeht.

Ist das Nostalgie?
Nein, dann hätte ich einen anderen Film gedreht. Ein nostalgischer Film wäre komplett subjektiv, dafür muss man zurück in die Vergangenheit gehen und auf Augenhöhe mit den emotionalen Erfahrungen der Figuren bleiben. Das ist eine typische Hollywood-Herangehensweise; da denke ich an die Fernsehserie „Wunderbare Jahre“ oder an Filme wie „Sommer ’42“. Mir ging es eher um bewusste Erinnerung, um einen Blick auf die Vergangenheit aus heutiger Perspektive. Also mit meinem jetzigen Verständnis der damaligen Ereignisse und auch der Narben, die davon geblieben sind. In meiner Persönlichkeit, aber auch in unserer Familie.

Roma_SceneHaben Sie deswegen das so genannte Fronleichnam-Massaker, bei dem mehrere Hundert friedlich demonstrierende Studenten ihr Leben verloren, zu einem zentralen Moment des Films gemacht?
Auch, denn das war damals eine Zeit, in der mir langsam aber sicher klar wurde, dass es noch etwas jenseits der Blase gab, die mein kindliches Leben darstellte. Und das Massaker hat sich, wie vieles in jener Zeit, in das kollektive Gedächtnis der Mexikaner eingebrannt und ebenfalls eine Narbe hinterlassen. Mexiko ist ohnehin ein sehr vernarbtes Land. Und wir spüren heute, in den politischen und gesellschaftlichen Veränderungen, die das Land aktuell durchmacht, immer noch die Nachwirkungen der Ereignisse von vor 50 Jahren.

Sind Sie an „Roma“ angesichts der persönlichen Nähe anders herangegangen als sonst?
Tatsächlich verlief die Entstehung dieses Films komplett anders als bei allen anderen vorher. In der Regel bin ich unglaublich kontrolliert: Jeder einzelne Schritt meiner Arbeitsweise ist genauestens durchdacht, am Drehbuch wird wieder und wieder gefeilt. Ich habe immer Mitstreiter wie Guillermo Del Toro, Pawel Pawlikowski oder auch meinen Bruder Carlos an meiner Seite, die mir konstant Feedback geben. Auch wenn ich im Schneideraum sitze, brauche ich normalerweise diese konstante Beratung und zeige Guillermo oder Alejandro G. Iñárritu die unterschiedlichen Schnittfassungen. Beim Dreh folge ich dann Tag für Tag einem ganz konkreten Plan und weiß ganz genau, was ich will.

Und dieses Mal?
Da schrieb ich schon das Drehbuch auf ganz ungewohnte Weise, wie einen freien Bewusstseinsstrom. Statt so kontrolliert wie möglich zu sein, wollte ich meinem Unterbewusstsein und meinen Erinnerungen freien Lauf lassen. Die Frau, auf der meine Protagonistin Cleo basiert, sollte – im übertragenen Sinne – vorgeben, wohin es geht. Plötzlich nämlich entdeckte ich ganz neue Seiten an ihr, die ich als Kind bei all meiner Liebe und Vertrautheit nie wahrgenommen hatte. Auch beim Drehen war alles anders als sonst, denn weder die Darsteller noch die Crew bekamen von mir das Drehbuch. Wir drehten in chronologischer Reihenfolge, und ich hatte nur jeden Morgen Gespräche mit den einzelnen Beteiligten, bei denen einige Ihre Dialoge bekamen, andere nicht.

Das klingt nach vorprogrammiertem Chaos.
War es auch, aber eben gewollt. Ich wollte so instinktiv wie möglich vorgehen und mich von den Momenten leiten lassen. Da ich fast ausschließlich mit Laiendarstellern arbeitete, war das größtenteils gar nicht so schwierig, denn die kannten nichts anderes. Nur Marina de Tavira kam als klassisch ausgebildete Schauspielerin mit der Arbeitsweise anfangs gar nicht klar. Die ersten Tage versuchte sie verzweifelt, die Szenen unter Kontrolle zu behalten. Bis sie dann irgendwann auch lernte, los- und sich treiben zu lassen.

Das Interview führte Patrick Heidmann.

RomaUnser Fazit: In bestechend schönen Bildern und mit emotionaler Wucht fernab vom Kitsch erzählt Cuarón von der jungen Mixtekin Cleo (Yalitza Aparicio), die 1970 als Kindermädchen und Haushälterin arbeitet, während um sie herum sowohl die Familie als auch die mexikanische Gesellschaft von Umstürzen ergriffen werden. Ein vielschichtiges, hochkontrolliertes Meisterwerk.

Erscheinungstermin: 12.03.2020
Produktionsjahr: 2018
Spieldauer: 134 Minuten
FSK: Freigegeben ab 12 Jahren
Sprache: Spanisch
Tonformat: Dolby Digital 5.1
Bild: Widescreen (s/w)
Untertitel: Deutsch
Specials: Making Of; Bilder vom Set; Dokumentationen

Formate: DVD | Netflix