Literatur

Bücher der Woche

Max Annas • Lisa Halliday • Oliver Domzalski

MAX ANNAS

Finsterwalde

Rowohlt Hundert Augen • 24. Juli

„Relativ bald. Oder vielleicht zwei, drei Jahre später.“ In „Finsterwalde“ ist die Europäische Union entmachtet. Wer Fremdes in sich trägt, dem drohen Tod oder Zwangsarbeit im Lager. Ein ganzes Land taumelt auf der Suche nach Verantwortung, will diese selbst aber nicht übernehmen. Bis die Identitäten der schwarzen Mutter Marie und eines griechischen Gastarbeiter-Paars in jener Welt aufeinandertreffen. Auf knapp 400 Seiten schreibt Max Annas in gegenständlichen Worten ohne Distanz zur Sache. Er zerrt den Leser direkt hinein in das Provinznest Finsterwalde, das gesellschaftlich überspitzt aber nie unrealistisch aufgeladen wird. Hinter Ressentiments kann sich hier niemand mehr verstecken. Ungeschönt stellt der deutsche Schriftsteller dabei unser Verständnis von erfolgreicher und
misslungener Integration auf die Probe. Das ist beklemmend, verärgernd und gut so. Denn die Geschichte lebt von ihrer dichten Erzählweise, die den Charakteren genügend Raum zur Entfaltung, dem Leser aber kaum Zeit zum Durchatmen gewährt. Einen hochpolitischen Zündstoff unserer Gegenwart übersetzt Annas so in noch düsterere Bilder. Doch die Vision des Fremdenhasses flößt nicht nur Furcht ein. Sie ist an erster Stelle mahnende Erinnerung sowie alarmierender Weckruf. Gerade in Zeiten, in denen die Nationalisten in Europa schon wieder ungeschoren ihre Fahnen schwenken, kommt es fast schon einer Pflicht gleich, sich an dieses Buch zu klammern. Denn wo es finster wird, da keimt irgendwann auch wieder Hoffnung auf. Benjamin Freund


LISA HALLIDAY

Asymmetrie

Hanser • 23. Juli

Mit „Asymmetrie“ hat Lisa Halliday ein lesenswertes Debüt verfasst. Alice ist jung und liebt Literatur – genau wie den berühmten, in die Jahre gekommenen Autoren Ezra Blazer. Mit ihm erlebt sie das Lesen, das Schreiben und das Altern. Ihre Beziehung verbleibt aber, aufgrund der Alters-Asymmetrie für immer in einem Schwebezustand. In den gerät auch Amar, der einen amerikanischen und einen irakischen Pass besitzt und deswegen im Londoner Flughafen festgesetzt wird. Beide Erzähler verhandeln immerzu Beziehungen, Verhältnisse und Einstellungen. Diese Abwägungen zwischen asymmetrischen Konstellationen verpackt Halliday in zwei Geschichten und ein modernes Textgewand zwischen literarischen Verkürzungen und ausschweifenden Erzählungen. Zarte narrative Fäden verweben die beiden Szenerien zu einem ehrlichen und suchenden Text. Eines macht dieser ganz deutlich: Das echte Leben ist eine Aneinanderreihung von Ungleichgewichten, Divergenzen, Unregelmäßigkeiten. Ewige Gleichheit und Ausgewogenheit aber wären der Tod.

Jens Hillering


OLIVER DOMZALSKI

Jürgen von der Lippe. Komiker. Klugscheißer. Koch.

kurz&bündig • 01. Juni

„kurz&bündig“, aber bitte doch lang genug, um Persönlichkeiten richtig nahezukommen. Das verspricht diese neue Reihe des schweizer Verlags und wer wäre ein besserer Kandidat für einen gelungenen Start als Jürgen von der Lippe? Das Urgestein der deutschen (TV-)Komik hält nicht mit witzigen Sprüchen und persönlichen Einblicken in sein Leben zurück. Eigens für „SchnellLeser“ konzipiert, ist das Portrait von Oliver Domzalski kurzweilig und unterhaltsam, genau wie von der Lippe selbst. Oberflächlich bleibt es aber nicht: es geht um von der Lippes Eltern, die besondere Atmosphäre bei Bühnenauftritten und seine Liebe zu Büchern. Domzalski erfasst von der Lippes Persönlichkeit über sieben Jahrzehnte hinweg: Ein schöner Anlass für das Portrait ist auch dessen 70. Geburtstag im Juni diesen Jahres. Spannend ist die Momentaufnahme aus dem Leben des Hawaiihemdenträgers wohl besonders für diejenigen, die seit vielen Jahren seine Karriere verfolgen und hier sicher noch einiges über den Spaßvogel erfahren können.

Lars Backhaus


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