Literatur

Buchvorstellungen der Woche

Haruki Murakami • Joshua Cohen

Haruki Murakami • Die Ermordung des Commendatore Bd. 1

DuMont • 22. Januar

Haruki Murakami Die Ermordung des CommendatoreWas David Lynch für den Film, ist Haruki Murakami in der Literatur. Beide verstehen es meisterhaft, das Mysteriöse, Groteske und Albtraumhafte zu inszenieren. In Lynchs „Mulholland Drive“ fällt einmal der Satz, alles, was wir wahrnehmen, sei Illusion, würde aber seine Wirkung haben. In Murakamis neuestem Werk ist, wie in seinen vorangegangenen, auch nie gewiss, ob Realität überhaupt ein sicherer Ort sein kann. Bereits im Inhaltsverzeichnis schimmert das Zweifelhafte auf. „Nichts weiter als eine optische Reflexion“ heißt es da oder „Bisher ist das nicht mehr als eine Vermutung“. Sich bloß nicht einrichten in Gewissheiten. Der Boden ist immer ein schwankender. Murakami zu lesen, bedeutet sich einzulassen auf elementare Seinsfragen, auf den „Moment, in dem sich Sein und Nichtsein vereint.“ Ein Maler soll einen Mann ohne Gesicht porträtieren. Dann entdeckt er ein meisterhaftes Gemälde mit dem Titel „Die Ermordung des Commendatore“. Mehr und mehr geschehen seltsame Dinge um ihn herum. Murakami: Ein Muss.

Sylvie-Sophie Schindler


Joshua Cohen • Buch der Zahlen

Schöffling & Co • 23. Januar

Joschua Cohen Buch der Zahlen„Es gibt nichts Schlimmeres als beschreiben: Hotelzimmerprosa“, räumt Joshua Cohen zu Beginn dieses ambitionierten Romans ein. Es handelt sich dabei allerdings nicht um den Schriftsteller Joshua Cohen, sondern um den fiktiven Erzähler dieser verrückten Doppelgänger-Geschichte. Als Autor gescheitert und hoch verschuldet, pflegt jener Cohen sein Leiden an der Welt. Bis er den Auftrag bekommt, die Autobiografie des Internetmilliardärs Joshua Cohen zu schreiben. Dem gehört das Google-ähnliche Unternehmen Tetration, das eine bedrohliche Nähe zum Staat pflegt. Bei den Begegnungen und Gesprächen mit dem „großen Vorsitzenden“ gerät der gescheiterte Joshua Cohen immer tiefer in die transparente Welt des Binärcodesystems, in der sich alles durch eine Abfolge von Nullen und Einsen abbilden lässt und nichts Menschliches mehr verborgen bleibt. Hier setzt der echte Cohen an, um die Auflösung des Privaten im Internetzeitalter aufzudecken. Weder Thomas Pynchons „Bleeding Edge“ noch Dave Eggers „The Circle“ fangen das Schicksal des gläsernen Menschen so erschöpfend ein wie das „Buch der Zahlen“. Selbst der Zeigefingerwisch auf einem e-Reader wird zur Bewegung umgedeutet, mit der „Tyrannen früher ihre Konkubinen auswählten und ihre Narren zum Tode verurteilten. Wisch, weg mit ihren Kleidern. Wisch, ab mit dem Kopf.“ Cohens Literatur ist weit entfernt von Hotelzimmerprosa. Sie trägt Züge des überbordenden Schreibens von David Foster Wallace, ist verstörend, genial und größenwahnsinnig zugleich.

Thomas Hummitzsch