Literatur

Buchvorstellungen der Woche

Eshkol Nevo • Über uns

dtv • 12. Januar

Eskohl Nevo Über unsWas die drei Erzähler dieses Romans vereint, ist das Dach über ihrem Kopf. Und sie alle sehen sich mit Herausforderungen konfrontiert, denen sie nicht ohne Weiteres gewachsen sind: Chani hat Wahnvorstellungen, Dvorah fehlt ihr Sohn, Arnon erliegt den Reizen einer Minderjährigen. Alle drei reflektieren über Eigen- und Fremdverantwortung in Monologen, die ganz unterschiedlich ausfallen. Während die einsame Chani einen Brief aufsetzt, bespricht Dvorah den Anrufbeantworter ihres verstorbenen Mannes. Der ehemalige Psychologiestudent Eshkol Nevo verleiht all seinen Figuren eine zutiefst menschliche, verletzliche Note und weist ihnen dabei jeweils einen der von Freud in seinem Strukturmodell der menschlichen Psyche entworfenen Konflikte um das Ich, Es und Über-Ich zu. Mithilfe seiner herausragenden Menschenkenntnis lässt er die Zwiespälte der vielschichtigen Charaktere für den Leser erfahrbar werden. Gekonnt entfaltet er den Spannungsbogen und fordert seine Leser auf, über das Buch hinaus zu denken.

Carolin Hesse


T.C. Boyle • Good Home. Stories

Hanser • 29. Januar

TC Boyle Good Home StoriesSchon vor über 13 Jahren, in der allerersten Ausgabe von GALORE, berichtete TC Boyle von seinem Dilemma, stets mehr gute Geschichten im Kopf zu haben, als ausreichend Zeit, diese aufzuschreiben. Und so entledige er sich vieler dieser Stories in Form von Kurzgeschichten. Fast schon sklavisch hält er sich seither daran, auf jeden Roman eine Sammlung mit Short Stories folgen zu lassen, so auch diesmal: „Good Home“ versammelt erneut 20 inhaltlich prall gefüllte Kurzgeschichten, die in ihrer Variabilität und ihrem Ideenreichtum kaum breiter angelegt sein könnten. Auch in diesen (teils gar nicht so) neuen Geschichten entsteht der Plot meist aus höchst glaubwürdigen, realitätsnahen Momentaufnahmen einzelner Personen, die durch bestimmte Umstände in eine heikle Extremsituation geworfen werden. Sei es eine Trailerpark-Bewohnerin, die von einem Kreationisten bekehrt werden soll, ein Kurier von Lebendorganen, der durch einen Erdrutsch zu einem Lebensretter ganz anderer Art wird, oder eine reiche mexikanische Witwe, die gekidnappt wird und ihren Peinigern Manieren beibringt: In wirklich jeder der Geschichten fühlt man sich den handelnden Personen extrem nah und fiebert den weiteren Entwicklungen entgegen. So bleibt bei dieser mittlerweile achten ins Deutsche übersetzten Sammlung von Kurzgeschichten nur ein Wermutstropfen: dass man regelrecht betrübt ist, viele dieser unglaublich genau und mitreißend gezeichneten Figuren nach jeweils nur 30 oder 40 Seiten wieder ziehen lassen zu müssen.

Sascha Krüger


Kent Haruf • Lied der Weite

Diogenes • 12. Januar

Kent Haruf Lied der WeiteDie posthume Wiederentdeckung des amerikanischen Autors Kent Haruf avancierte vergangenes Jahr mit seinem Roman „Unsere Seelen bei Nacht“ zum absoluten Überraschungserfolg. Feinfühlig zeichnete Haruf die Liebesgeschichte zweier Menschen nach, die den Versuch unternehmen, im Herbst ihres Lebens gemeinsam der Einsamkeit zu entfliehen und Glück zu finden. Nun erscheint mit der Wiederauflage von „Lied der Weite“ ein weiteres Werk aus Harufs Erzählkosmos, das sich wie alle seine Romane in der fiktiven Kleinstadt Holt in Colorado abspielt. Im Fokus stehen diesmal die Schicksale des jungen Brüderpaares Bobby und Ike Guthrie, deren depressive Mutter die Familie verlässt und jenes des Teenagers Victoria Roubideaux, die nach einer Liaison ungewollt schwanger und deswegen von ihrer Mutter verstoßen wird. Völlig unpathetisch entrollt Haruf mit einem sehr feinen Gespür für Sensibilität die Lebensgeschichten jener Menschen, die vor allem durch ihre starken wie mitfühlenden Nebenfiguren an Tragweite gewinnen.

Björn Eenboom


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