Literatur

Buch der Woche

Zadie Smith - Swing Time

Kiepenheuer & Witsch · 17. August

Ein ganzer Roman voller Tanzsymbolik, und Zadie Smiths erste Ich-Erzählerin steht nur daneben. Ihre klugen Beobachtungen über Menschen und Klassen sind es wert.

Man konnte Zadie Smith schon immer für die Leichtfüßigkeit bewundern, mit der sie komplexe Figuren zu Großfamilien und Nachbarschaften verstrickt, ohne dabei je einen Faden zu verlieren, aber lieben muss man sie für die scharfen Beobachtungen am Rande. Mit ihrem Debütroman White Teeth wurde die Engländerin mit Anfang 20 zur literarischen Stimme einer neuen Generation erklärt, die mühelos durchs multikulturelle London ihrer Zeit navigiert und dabei noch ein paar andere Jahrzehnte und Kontinente mitnimmt. Seitdem hat sie Essays über Politik und Indiefilme geschrieben, Jay-Z zum Interview getroffen und Kurzgeschichten anderer Autoren zum Buch gesammelt, und immer schwingt sie dabei so geschickt zwischen großen Handlungen und kleinen Genialitäten, dass man heulen möchte. In Swing Time, ihrem fünftem Roman nach dem experimentellen NW von 2012, sind es etwa die abgetragenen Espadrilles, in denen die Mutter die namenlose Ich-Erzählerin zur Tanzstunde bringt und in denen Smith sie umwerfend viel über die Klassengesellschaft im London der frühen 80er erkennen lässt: Die Mutter strebt nach revolutionärem Kampf, möchte Angela Davis oder Gloria Steinem folgen, deshalb kleidet sie sich betont schlicht, während eine andere Mutter sich in billigen Schick hüllt. Von deren Tochter Tracey ist die Erzählerin gerade deshalb fasziniert. Beide Mädchen wachsen privilegienarm und tanzbegeistert auf, aber während die eine – Tracey – Talent zeigt, bleibt die andere eher am Rande. Von dort aus beobachtet sie erst die beste Freundin, immer die Mutter, später die weiße Popsängerin aus Australien, als deren persönliche Assistentin sie einen Job findet. Als Teil der Popstar-Entourage reist sie nach Westafrika, wo der Popstar Gütiges tun will und dabei scheitert, ohne es auch nur zu merken. Smith schwingt ihre Gedanken zu wohlwollendem Rassismus, zu Identitätsfragen und Determinismus nicht mit der Keule durch Swing Time; sie lässt sie tänzeln. Der gambische Kankurang sei der schönste Tanz, den sie je gesehen habe, stellt die Erzählerin beispielsweise fest, um sich erst viele Zeilen später zu fragen, wo dabei eigentlich die Mädchen blieben. Ihr Job für den Popstar, erklärt sie an anderer Stelle, bestehe darin, Abtreibungstermine auszumachen, Blumen zu bestellen, Hundesitter zu engagieren, Pickel auszudrücken „und so weiter“. Zadie Smith ist nicht nur Meisterin der spezifischen Beobachtungen, sie ist bei allen komplizierten Themen auch meisterhaft lustig.

Unser Fazit:

Nach dem experimentell gestalteten NW kehrt Zadie Smith zurück zu dem, was sie am besten kann: Große Geschichten bis ins Detail erzählen. Swing Time funktioniert nicht nur als kluger Roman, sondern erzählt auch so fasziniert vom Stepptanz und seinen klassischen Helden, dass man wie die Erzählerin alte VHS-Kassetten von Fred Astaire und Ginger Rogers entstauben möchte.

Britta Helm