Literatur

Buch der Woche

Viet Thanh Nguyen - Der Sympathisant

Blessing · 14. August

Schrifliche Ekstase

„Es war ein Monat, in dem sich für jeden Menschen in unserer kleinen Ecke der Welt alles entschied, der den meisten Menschen im Rest der Welt aber nichts bedeutete.“ So beginnt Viet Thanh Nguyens als Geständnis eines Nachrichtenoffiziers verfasstes Romandebüt „Der Sympathisant“. Es ist ein wuchtiges Stück Weltliteratur, das doch frei ist von jedem überflüssigen Gewicht...

Geschichte wird von den Siegern geschrieben, so sagt man. Schon Gaius Iulius Caesar hatte in seiner fraglos berühmtesten Publikation, dem Mammutwerk der als „Gallischer Krieg“ bekannten „Commentarii rerum gestarum Galliae“, die Eroberung Galliens als eine Aneinanderreihung kriegstaktischer Meisterleistungen geschildert. In diesem Licht ist zumindest bemerkenswert, in welchem Umfang und mit welcher Intensität sich die Vereinigten Staaten von Amerika kulturwissenschaftlich und künstlerisch am Vietnamkrieg – einer der verheerendsten militärischen Niederlagen der eigenen Geschichte – abgearbeitet haben und es heute nach wie vor tun. Erst kürzlich etwa zitierte der dritte Teil der Neuauflage der „Planet der Affen“-Reihe Francis Ford Coppolas „Apocalypse Now“ – eine der prominentesten, am stärksten nachhallenden Behandlungen des zwischen 1955 und 1975 geführten Krieges. Reflektionen aus Vietnam hingegen haben es nicht in den Kanon der westlichen Welt geschafft – auch wenn es sie natürlich gibt, etwa „Die Leiden des Krieges“ (1991) von Bao Ninh, der als Kriegsveteran seine persönliche Perspektive teilen konnte. Viet Thanh Nguyen war erst vier Jahre alt, als er mit seinen Eltern in die USA floh. Für „Der Sympathisant“, in den USA erstmals anno 2015 veröffentlicht und im folgenden Jahr mit dem Pulitzer Prize for Fiction geadelt, musste er sich also erst einmal belesen. Zwei Seiten füllt seine Danksagung am Ende des Buches, die so zugleich zum Syllabus gerät, der eingangs erwähnter Problematik ein wenig Abhilfe schafft. Viet Thanh Nguyens Meisterleistung liegt dabei darin, seinem Roman, der in einzigartiger Selbstverständlichkeit Politkrimi und Posse vereint, trotz der Tragkraft von Thematik und Recherche einen herrlichen Schwung zu schenken. Das hat zum einen mit der schwerelosen Stimme des Erzählers zu tun, der im einen Moment über die mangelnde Sauberkeit in seiner Zelle spöttelt, im nächsten die ganze Grausamkeit des Krieges in drastischen Details benennt – Zeichen einer Vielseitigkeit, die ihm in seiner Funktion als Doppelspion fraglos gut zu Gesicht steht. Zum anderen verfügt die Geschichte von den ersten Kapiteln an, in denen zwischen Kanonendonner und explodierenden Munitionslagern eine moralisch fragwürdige Evakuierungsaktion aus Saigon vorbereitet wird, über ein enormes Tempo, von dem sie nicht wieder ablässt. Furios!

Fazit:

Weltgeschichte aus frischer Perspektive, der Plot rastlos und von cineastischer Qualität, die Sprache pointiert und humorvoll gerade im Angesicht des Schreckens: „Der Sympathisant“ ist ein inhaltlich reicher, dennoch präziser, dramaturgisch fast schnurgerade entwickelter Thriller. Die Zeit, die man für Viet Thanh Nguyens umfangreiches Debüt zunächst einmal haben muss, verfliegt förmlich.

Friedrich Reip