Musik

Album der Woche

Bugge Wesseltoft - Everybody Loves Angels

ACT/Edel · 29. September

Foto: Asle Karstad

Wesseltof Entschlackte Schmachtfetzen zum Vormerken für die Weihnachtsfeiertage: der Pianist Bugge Wesseltoft spielt Rock-Klassiker in tief berührenden Solo-Versionen.

Es ist noch immer das meistverkaufte Album in der Geschichte des Münchner Labels ACT. „It’s Snowing On My Piano“ brachte 1997 auch einem Jazz-fernen Publikum bei, wie man den Namen Bugge Wesseltoft buchstabiert. Der norwegische Pianist interpretierte zarte, beinahe schwerelose Versionen bekannter Weihnachtslieder ganz allein am Flügel, ohne jedes Beiwerk. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt er nun genau 20 Jahre später: „Everybody Loves Angels“ ist Wesseltofts zweites Weihnachtsalbum – nur ohne Weihnachtslieder. Abgesehen von einem Bach-Choral und zwei jahrhundertealten Volksweisen sind nur Stücke vertreten, die in den 60er- und 70er-Jahren zum Rock’n’Roll-Kanon gehörten. Und dann ist da noch der Song eines hawaiianischen R&B-Sängers. „Zu Bruno Mars habe ich eigentlich keine besondere Beziehung“, sagt Wesseltoft. „Aber der Song ist einfach gut.“ Der Norweger verwandelt den Reggae-lastigen Pop-Hit „Locked Out of Heaven“ in einen tief empfunden Blues. Eine langsame, sehr langsame Version, so wie alles auf dieser tiefmelancholischen Winterplatte. Bugge Wesseltoft, 1964 in der Kleinstadt Porsgrunn geboren, ist auch nach einem Vierteljahrhundert im Geschäft einer der aufregendsten Jazzer Europas. Der Pianist, der nie eine formelle Ausbildung absolviert hat, begann als Sideman von Jan Garbarek, erforschte mit wechselnden Formationen Jazz, Folk und Elektronik und wurde nebenbei mit eigenem Label der wichtigste Vertreter des so genannten NuJazz. Ein besinnliches Feiertagsalbum wäre ihm selbst nie in den Sinn gekommen. „Weihnachten ist mir eigentlich gar nicht wichtig“, sagt Wesseltoft. „Ich habe lange gezögert, als man die Idee an mich herantrug. Als ich es dann aber doch anging, habe ich es so gut gemacht, wie es nur ging.“ Für „Everybody Loves Angels“ hat der Pianist Stücke ausgewählt, zu denen er eine innige persönliche Beziehung hat. „Mit den Songs der Sixties bin ich groß geworden“, so Wesseltoft, „viele dieser Stücke haben eine Natur-Thematik wie ‚Morning Has Broken‘ oder beschäftigen sich mit der Überwindung schwerer Zeiten, so wie ‚Let it Be‘. Das passt auch zu dem finsteren Zeitalter, in dem wir leben.“ Der Norweger hat große Teile des Albums improvisiert; aufmerksam suchend tastet er sich in diese leisen Versionen hinein. So ist Jimi Hendrix‘ „Angel“ kaum von einem Bach-Choral zu unterscheiden. Die Kunst des Bugge Wesseltoft – sie besteht auch darin, Genre-Grenzen mit leichter Hand verschwinden zu lassen.

Fazit:
Das hätte schief gehen können: mit „Angie“, „Let it Be“ und „Bridge Over Troubled Water“ interpretiert Bugge Wesseltoft einige der größten Schmachtfetzen der Musikgeschichte solo am Flügel. Doch die minimalistische Eleganz, mit der der Pianist die sich bedrohlich auftürmenden Klippen des Kitsches umschifft, ist atemberaubend. Eines der schönsten Alben des Jahres.

Jan Paersch