Literatur

31.03. | Hörbuch der Woche

Horst Evers • Wer alles weiß, hat keine Ahnung

Argon

Alltagskuriositäten

Im Lockdown fehlt dem Komödianten zwar die Bühne, doch das Studio bleibt. Horst Evers über sein neues, selbst eingesprochenes Hörbuch.

Herr Evers, in welcher Situation hatten Sie zuletzt das Gefühl, sehr viel zu wissen und gleichzeitig nichts?
Das habe ich fast jeden Tag. Ich sehe es als eine meiner Stärken an, dass ich mich und alles, was ich zu wissen meine, regelmäßig hinterfrage. Ich staune oft, wie fest ich noch vor wenigen Jahren von Dingen überzeugt war, die ich heute für relativen Unsinn halte. Tatsächlich habe ich aber kürzlich ein Foto einer Berliner Straßenecke aus den Fünfzigern gesehen. Praktisch alles darauf hat sich verändert, außer dem Baum, der an dieser Ecke steht. Da hatte ich kurz das Gefühl, alles und nichts zu wissen.

Welche Botschaft steht hinter "Wer alles weiß, hat keine Ahnung"?
Weniger eine Botschaft als die Frage, ob der Umstand, dass wir heute jederzeit und überall auf nahezu das gesamte Wissen der Menschheit Zugriff haben, uns wirklich klüger gemacht hat. Schließlich sind es der Zweifel und das Unwissen, welche zum Denken animieren.

Schneller und produktiver heißt nicht unbedingt schlauer.
Je schneller etwas passiert, desto mehr automatisieren sich auch die Abläufe und desto weniger Raum bleibt, um Dinge zu hinterfragen. Wenn ich heute in einer fremden Stadt einen Drogeriemarkt suche, kann ich schnell googeln. Früher war ich erst mal verloren, musste die Umgebung genauer anschauen und habe dadurch alles ganz anders erlebt.

Das Hörbuch haben Sie erneut selbst eingelesen. Denken Sie beim Schreiben bereits daran, wie der Text gesprochen klingt?
Ich lese mir meine Sätze häufig laut vor. Noch ehe ich sie aufschreibe. Das hilft mir unter anderem bei der Rhythmisierung und erspart manchmal lange, verschachtelte Satzungetüme.

Lesen Sie lieber live vor Publikum oder allein im Studio?
Vor Publikum. Es entsteht ein Zusammenspiel, das Adrenalin ist höher, die Sinne sind wacher. Beim späteren Anhören ist der damit einhergehende Kontrollverlust aber manchmal von Nachteil. Auf der Bühne rede ich schneller und pointierter. Das kann aber auch zu Effekthascherei führen. Man muss da höllisch aufpassen.

Inspirationen für Ihre Geschichten sind oftmals Kuriositäten des Alltags. Machen Sie sich gezielt auf die Suche danach?
Wenn man gezielt etwas sucht, findet man meist nur Dinge, die auch andere schon gezielt gesucht haben. Geschichten begegnen einem letztlich überall dort, wo Menschen miteinander reden. Wenn man es schafft, möglichst viele Gespräche zu belauschen, im Bus, im Café, im Supermarkt, stehen die Chancen schon recht gut. Mich interessieren vor allem die Kuriositäten, die mittlerweile so normal geworden sind, dass man ihren Irrsinn erst wieder aufzeigen muss.

Was empfinden Sie derzeit als besonders verstörend?
Die Aufforderung: "Meiden Sie alle Kontakte". Intellektuell verstehe ich die Notwendigkeit und Richtigkeit dieser Maßnahme. Emotional halte ich sie für geradezu absurd irrsinnig. Das kann den Menschen nicht guttun.

Warum ist es wichtig, Verstörendem mit Humor zu begegnen?
Humor hilft, die Kontrolle zurückzugewinnen. Wenn der Humor fehlt, ist man dem Verstörenden hilflos ausgeliefert.

Wann hilft auch Humor nicht mehr?
Wenn die Hoffnung verloren geht. Es gibt keinen Humor ohne Hoffnung. Das wäre dann maximal noch Zynismus.

Fazit
Scharfsinnige Alltagsbeobachtungen sind seit jeher das Markenzeichen von Horst Evers. Auch für seinen neuesten Streich begab sich der 1967 i n der Nähe des niedersächsischen Städtchens Diepholz geborene Geschichtenerzähler auf die Suche nach wahrer Schönheit und schöner Wahrheit – und fand sie überall dort, wo die Normalität des Alltags Risse zeigt: Wenn Landfleischereien mit "veganfreier Wurst" werben oder Restaurants die Gäste zum Selber-Kochen animieren, ist Evers in seinem Element. Die Hörbuchversion steigert das Vergnügen noch.


Horst Evers
Wer alles weiß, hat keine Ahnung

ungekürzte Autorenlesung
Argon, 5 Std. 32 Min.

Hannah Heubel