Musik

30.04. | Album der Woche

Birdy • Young Heart

Warner

In der Welt zu Hause

Im Alter von 24 blickt Birdy bereits auf eine zehnjährige Musikkarriere zurück. Ihr neues Album „Young Heart“ zieht jetzt ein reflektiertes Zwischenfazit.

Für Jasmine van den Bogaerde alias Birdy muss sich jeder Tag wie schulfrei anfühlen. Seit die englische Sängerin 2011 mit der Single „Skinny Love“ einen internationalen Hit landete, hat die Musikkarriere Vorrang, sind die Konzertsäle der Welt ihr Klassenzimmer. Drei erfolgreiche Alben und die dazugehörigen Tourneen bedeuteten, dass Birdy kaum Zeit zum Zurücklehnen hatte, bis sie sich vor fünf Jahren eine Auszeit nahm. „Ich habe gearbeitet, seit ich 14 war“, sagt sie. „Da brauchte ich irgendwann einfach mal eine Pause.“

Statt sich zu Hause in London unter die Decke zu legen, reiste van den Bogaerde allerdings lieber mit ihrer Schwester und ihren Cousinen für ein paar Monate nach Indien, wo sie ein Türchen ihres Herzens für die Inspiration offen ließ, denn: „Ich liebe es, zu Hause zu sein, aber um kreativ zu werden, muss ich meine Komfortzone verlassen.“ Wirklich unkomfortabel dürfte es nie gewesen sein, denn nach dem Indien-Urlaub ging es für die Sängerin direkt nach Los Angeles, wo ihr neues Album „Young Heart“ musikalisch beheimatet ist. Dessen klassischer Songwriter-Sound orientiert sich an der Laurel-Canyon-Szene der frühen 70er-Jahre, als Künstler wie Joni Mitchell, Carole King oder James Taylor mit ihrem gediegenen Folkrock die Charts dominierten. Vor allem Joni Mitchells Musik hatte es Birdy angetan. „Es war das erste Mal, dass ich ihre Musik wirklich verstand und ich begriff, wie großartig ihr Album ‚Blue’ ist“, sagt sie. „Ihre Songs klingen, als rede sie mit einem Freund, weil sie den Tonfall einer Konversation haben. So wollte ich auch einmal schreiben, selbst wenn das für mich als Songwriterin ein zweischneidiges Schwert ist. Was hat das Musikmachen schließlich für einen Sinn, wenn man nie so gut ist wie Joni?“

Dieses Urteil kann van den Bogaerde getrost ihren Fans überlassen, die mit den introspektiven, zurückhaltend instrumentierten Songs aus „Young Heart“ schnell warm werden dürften. Birdy sagt, das Album handele von der Schicksalhaftigkeit der Welt und dem schwer einzuschätzenden Entscheidungsspielraum, den man darin hat. In Musik übersetzt ergibt sich daraus eine Konversation mit sich selbst. Manchmal fühlt sich das so wie in „Evergreen“ befreiend und belebend an, manchmal aber auch belastend wie in „Little Blue.“ „Auf dem Klavier klang der Song zu traurig, also habe ich ihn auf der Gitarre gespielt“, sagt die Sängerin und lacht: „Jetzt klingt er noch trauriger.“


Birdy
Young Heart
Warner, 30. April

Ihr letztes Album beschreibt Birdy als „dramatisch“, ihr neues dagegen als „roh“. Auf Dissonanzen muss man sich trotzdem nicht einstellen, denn „Young Heart“ ist luxuriös in seiner Intimität und Zerbrechlichkeit. „Old Heart“ wäre vermutlich ein ebenso guter Plattentitel gewesen, denn die philosophisch angehauchten Songs betrachten die Welt mit Reife und Distanz. Modern ist hier gleichzeitig zeitlos, denn ein verschollenes Songwriter-Album aus den Siebzigern könnte kaum großzügiger klingen.


Foto: Warner

Lars Backhaus