Literatur

30.03. | Buch der Woche

Fran Lebowitz • New York und der Rest der Welt

Rowohlt Berlin

Thank you for smoking

Die New Yorkerin und Martin-Scorsese-Freundin Fran Lebowitz spottet hauptberuflich über den Zeitgeist. Erstaunlicherweise führt das dazu, dass ihre Texte kaum altern.

Was spricht eigentlich für Kinder? Zum Beispiel dies: „Sie sind üblicherweise nicht sehr groß und deshalb sehr nützlich, um an schwer erreichbare Stellen zu gelangen“. Oder: „Kinder sitzen im Restaurant nicht neben einem und schwadronieren lauthals über ihre lachhaften Zukunftsaussichten.“ Wohl wahr! Okay, wie bei allem auf der Welt gibt es auch eine Kehrseite. Auf die Contra-Liste gehört deshalb dringend folgender Punkt: „Sogar frisch gewaschen und auch ohne Süßigkeiten sind Kinder irgendwie klebrig. Die einzig mögliche Erklärung: Sie rauchen nicht genug.“ Die US-amerikanische Autorin Fran Lebowitz hat ein besonderes Talent dafür, Beobachtungen mit unbestreitbarem Wahrheitsgehalt treffsicher zuzuspitzen. Einem breiten Publikum ist das 2020 durch die Netflix-Serie „Pretend It’s a City“ bekannt geworden, mit der Martin Scorsese seine Freundin ins Rampenlicht (zurück)geholt und ihr die Bühne für ein Fest der nonchalant servierten Zeitgeistspötteleien gebaut hat. Als queere New Yorker Jüdin und passionierte Raucherin steht Lebowitz ja eh nicht unter Mainstream-Verdacht. Entsprechend unbefangen mokiert sie sich gleichermaßen über Menschen, die beim Gehen SMS schreiben, wie über Studierende, die eine Trigger-Warnung für Edith Whartons „Zeit der Unschuld“ brauchen, weil darin von der „verblühenden Schönheit“ einer Frau die Rede ist. Lebowitz ist weder woke noch konservativ. Sie pfeift einfach auf alles Modische – es sei denn, es geht um ihre tadellose Erscheinung im gestärkten Hemd. Hätte es „Pretend It’s a City“ nicht gegeben, wäre sicher auch das Buch „New York und der Rest der Welt“ nicht erschienen. Denn als Schriftstellerin lief Lebowitz bis dato eher unter „Fran who?“. Seit dem Erscheinen ihrer Essaysammlungen „Metropolitan Life“ (1978) und „Social Studies“ (1981) hat sie wenig bis gar nichts Literarisches veröffentlicht, ihr Hauptberuf ist es, als Unikum der New Yorker Intellektuellenszene und gern gesehene Partygästin Aphorismen aus dem Manschetten-Ärmel zu schütteln. Auch „New York und der Rest der Welt“ ist nun nicht etwa der lange erwartete Roman. Sondern die deutsche Ausgabe der Sammlung „The Fran Lebowitz Reader“, die schon 1994 in den USA veröffentlicht worden ist – wiederum als Neuauflage der alten Essays, versehen mit upgedatetem Vorwort. Dem Vergnügen tut’s keinen Abbruch. Erstens sind die Notizen zu Manieren, Wissenschaft, Kunst, Leuten, Dingen und Ideen (so die Kapitelüberschriften) erstaunlich wenig gealtert – vielleicht mal abgesehen vom CB-Funk oder einem nicht mehr ganz taufrischen Begriff von Disco-Kultur. Zum anderen wird Lebowitz in vielerlei Hinsicht umso amüsanter, je weiter sie sich vom herrschenden gesellschaftlichen Konsens entfernt. Stichwort: Sport. Eigentlich ja klar, dass ohne Workout gar nichts geht. Auch die Autorin ist den „Freuden athletischer Anstrengung“ nicht abgeneigt und beteiligt sich gern an Wettkämpfen. Welcher Art? Aus ihrer unvollständigen Liste: „1. Frühstück liefern lassen. 2. Nach der Post schauen. 3. Zigaretten holen. 4. Sich auf einen Drink treffen.“

Fran Lebowitz
New York und der Rest der Welt

Rowohlt Berlin, 352 Seiten

Patrick Wildermann