Musik

29.10. | Album der Woche

Christian Brückner - Michael Wollny • Heinrich Heine: Traumbilder

ACT · 29. Oktober

Foto: Gregor Hohenberg


Improvisierter Gipfel

Der beste deutsche Sprecher und der beste deutsche Jazzpianist improvisieren über Texte von Heinrich Heine. Was dabei entsteht? Spielerische Leichtigkeit.

Es sei „außerordentlich schön, dass man sich beim Spiel von Michael Wollny einfach fallen lassen kann“, erklärt Christian Brückner im Gespräch über die Zusammenarbeit für das Album „Heinrich Heine: Traumbilder“. „Wenn er spielt, weiß ich instinktiv sofort, wie ich einen Text dazu richtig vortrage, wie ich ihm Spannung und Dynamik verleihe.“ Klar: Die beiden haben eine Vorgeschichte, sind sich auf diversen Bühnen bereits mehrmals begegnet. Dennoch sei es auch für die beiden Akteure „eine herrliche Arbeit gewesen, wo alles wie selbstverständlich seinen Platz findet.“ Aufgenommen wurde die Platte mit 24 höchst facettenreichen, teils sehr kurzen Einzelstücken tatsächlich im unmittelbaren, improvisierten Dialog im Studio. Die beiden, Auge in Auge, nur getrennt durch eine Glasscheibe. Viele so genannte „First Takes“ seien unter den nun veröffentlichten Aufnahmen, also spontane Erstversuche der gegenseitigen Annäherung. Überhaupt habe man für alle Aufnahmen höchstens drei Versuche benötigt. Diese Selbstverständlichkeit finde ihren Ursprung in der guten Vorbereitung, „die für mich als Sprecher den Großteil der Arbeit ausmacht. Wenn es dann an die Aufnahme geht, nehme ich mir den Text nur noch vor und lege völlig ungezwungen los. Und ich bin sicher, für Michael ist es mit seinem Spiel ganz ähnlich“, so Brückner. Das ist nicht nur insofern beachtlich, als es sich bei den verhandelten Heinrich Heine-Gedichten um Texte handelt, die zum absoluten Kanon der deutschen Lyrik zählen (wer hat nicht schon einmal die „Loreley“ gehört, gelesen oder in der Schule auswendig gelernt?). Sondern umso mehr, als Brückner Heine „für den bedeutendsten deutschen Dichter überhaupt“ hält. „Keiner ist dringlicher, präziser und zeitloser. Als umso bestürzender empfinde ich es, dass er nie die Wertschätzung erfuhr, die ihm gebührt.“ „Die Welt ist dumm, die Welt ist blind / wird täglich abgeschmackter; / Sie spricht von dir, mein schönes Kind / Du hast keinen guten Charakter“ (aus: „Die Welt ist dumm“). Das ist eine Feststellung, die gerade in Zeiten weit verbreiteter Hassrede in den sozialen Medien aktueller nicht sein könnte – geschrieben vor exakt 199 Jahren. Doch neben der Kritik an der Welt, den Menschen oder Deutschland finden sich auf diesem – selbst für diese beiden mit zahlreichen Veröffentlichungen gesegneten Akteure –„besonderen, ja herausragenden Werk“ (Brückner) viele Momente voll reiner Liebe: In den Texten, für die Texte, durch die Texte.

Christian Brückner - Michael Wollny
Heinrich Heine: Traumbilder

ACT – 29. Oktober

Man sollte einen gewissen Zugang zu freigeistigem Piano-Jazz mitbringen, um die Grandezza, Eleganz, Tiefe und Dynamik in Michael Wollnys Improvisationen zu erfassen. Wem dies fehlt, der konzentriert sich eher auf den vitalen, enorm lebendigen Wortvortrag von Christian Brückner. Im Zusammenspiel der beiden Elemente sind diese brutalen Profis allerdings tatsächlich außergewöhnlich. Gerade deshalb, weil hier nichts nach nüchterner Abgeklärtheit, sondern alles nach purer Neugier und großem Entdeckergeist klingt.

Sascha Krüger