29.08. | Album der Woche: Brad Mehldau • Ride Into The Sun

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29.08. | Album der Woche - Brad Mehldau • Ride Into The Sun
Foto: Yoshika Horita

Lösung oder Problem?

Der Jazzpianist Brad Mehldau bedient sich gern in anderen Genres. Jetzt hat er ein Album mit Liedern des Singer-Songwriters Elliott Smith eingespielt.

Brad Mehldau, warum ausgerechnet Elliott Smith?
Ich dachte schon seit Jahren daran, ein Album mit seiner Musik aufzunehmen. Elliotts Stimmführung beeindruckt mich – die Art, wie sich die Harmonie bewegt, wie er von einem Akkord zum nächsten gelangt.**

Sie kannten sich, oder?
Wir trafen uns einige Male, auf der Bühne in Los Angeles.

Smith ist früh verstorben. Er litt – wie Sie auch – an Depressionen.
Ja, und ich denke oft über die Spannung zwischen Dunkelheit und Licht in seiner Musik nach. Elliott empfand tiefen Schmerz, und doch gibt es da dieses unglaubliche Licht. Seine Songs klingen nach Moll, aber lösen sich plötzlich in Dur auf. Diese Mischung zieht mich an. Es gibt ja auch ganz andere Musik: In Bachs Aria aus den Goldberg-Variationen etwa herrschen nur Licht und Perfektion.

Sie sagten einmal: »Leiden ist heilig.«
Wenn man leidet – sogar so sehr, dass man nicht mehr leben will –, dann kann genau dieses Leiden ein Ausweg sein. Es besitzt eine eigene Schönheit. Denken Sie nur an Renaissance-Gemälde, die Jesus am Kreuz zeigen. Solche Kunst erinnert uns, dass wir keine Götter, sondern Menschen sind – verletzlich und sterblich.

Elliott hatte eine schreckliche Kindheit. Ist das heilig?
Nicht das Leiden selbst, sondern das Werk, das daraus entsteht. Deshalb hatte ich auch Angst davor, seine Songs aufzunehmen. Es ist wie auf einem Friedhof: Man tritt nicht auf Gräber.

Ein typischer Elliott-Smith-Song hat Kanten. Vieles in der Musik klingt heute stromlinienförmig, oder? Das fing schon vor 30 Jahren mit dem Sampling an. Am Anfang war es revolutionär, wurde dann aber trivialisiert und auf endloses Loopen heruntergebrochen – reines Copy-Paste. Es dreht sich oft mehr um den Star – die Kunstfigur – als um die Musik. Taylor Swift beispielsweise hat diesen feministischen Ansatz, der aber sehr kommerzialisiert ist. Ich denke da an Theodor Adorno: Der Kapitalismus frisst sich selbst auf.

Sollte Musik politisch sein?
Schon die Aussage »Meine Musik ist nicht politisch« finde ich elitär und konservativ. Aber ich spüre auch eine Spannung, wenn ich an einem Ort wie der Hamburger Elbphilharmonie spiele. Da sitzt ein gebildetes und privilegiertes Publikum, das die kulturellen Codes entziffern kann. Ich denke manchmal: Bin ich Teil der Lösung oder Teil des Problems?


Brad Mehldau Ride Into The Sun Cover

Brad Mehldau
Ride Into The Sun
Nonesuch • 29. August

Brad Mehldau gelingt es in wunderbarer Regelmäßigkeit, zeitgenössischen Jazz spannend klingen zu lassen. »Ride Into The Sun«, das sich überwiegend Stücken des Singer-Songwriters Elliott Smith widmet, schließt an Alben wie »Finding Gabriel« an: In 16 Songs erzählt Mehldau eine Geschichte, mal schüchtern und verletzlich, mal mit großer Geste und waghalsig. Da spielt einer gegen den Strom. Und das funktioniert auch gut, wenn es zwischendurch – kurz – doch nach LinkedIn-Profil klingt.

Florian Friedman


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