29.05. | Kinostart der Woche: Fritz Litzmann, mein Vater und ich

29.05. | Kinostart der Woche - Fritz Litzmann, mein Vater und ich

»Der Film sollte keine Abrechnung werden.«

In seinem bislang persönlichsten Film erzählt Aljoscha Pause die Geschichte seines Vaters Rainer Pause, der 1987 am Bonner Bundeskanzlerplatz das renommierte Kabarett-Theater »Pantheon« gründete und dort bis heute in Gestalt seiner Figur Fritz Litzmann auf der Bühne steht. Über die Motive eines kompromisslosen Künstlers und wie sich dessen Verwirklichung auf die Entwicklung des Sohnes auswirkte, spricht der Filmemacher im Interview.

Aljoscha Pause, wer ist Fritz Litzmann?

Mein Vater als Kabarettist, auf der Bühne, das ist Fritz Litzmann, der Alterspräsident des fiktiven rheinischen Heimatvereins »Rhenania«, des Vereins, den er gemeinsam mit dem Alter Ego seines Bühnenpartners Norbert Alich, ›Hermann Schwaderlappen‹, seit Jahrzehnten leitet. Mit seiner slapstickhaften Albernheit, der politischen Schärfe, der rheinischen Wankelmütigkeit und seinem schwarzen Humor wurde Fritz zu einer Kultfigur.

Ihr Vater ordnete seinem Theater alles unter. Warum war das Familienleben nie eine Konkurrenz zu seinem radikalen Künstler-Lebensentwurf?
Mein Vater wuchs in der bürgerlichen Enge der Nachkriegszeit auf. Er hatte eine Helikoptermutter, die ihm wenig Luft zum Atmen ließ. Als er zu Hause auszog, wollte er alles, nur keine Familie gründen. Er wollte raus, sich selbst und die Welt entdecken, politisch aktiv sein und Theater machen. Er war Teil der 68er-Studentenrevolte. Dann wurde er früh und ungewollt Vater, die toxische Beziehung zu meiner Mutter hielt nicht. Meine Eltern trennten sich, als ich drei Jahre alt war. Er wollte sich künstlerisch verwirklichen und hat dafür alles auf eine Karte gesetzt. Ich bin dann über weite Strecken von der langjährigen Lebensgefährtin meines Vaters großgezogen worden.

In welchem Stil?
Im Sinne der linken und alternativen Szene der 70er: sehr frei, antiautoritär, zum Teil ideologisch geprägt. Mein Vater forderte und förderte früh meine Selbstständigkeit. Das hatte aber auch eine Kehrseite. Diese Freiheit ging nämlich mit einer Haltlosigkeit und Überforderung einher. Körperliche Nähe oder verbale Zuneigungsbekundungen gab es bei uns eher nicht. Das vordergründig lockere Verhältnis war da-durch vielleicht auch von einer gewissen Oberflächlichkeit geprägt. Das ist mir aber erst im Nachhinein so wirklich klar geworden.

Die Klärung familiärer Themen ist häufig nicht ganz unkompliziert, gerade wenn da-mit eine gewisse Öffentlichkeit einhergeht. Wie lange haben Sie die Idee zu diesem so persönlichen Film mit sich herumgetragen
Lange, denn ich musste zunächst meine eigene Bereitschaft ausloten: Willst du das wirklich machen? Mir war wichtig, es nur mit einer gewissen inneren Klarheit anzugehen – und ohne Groll. Der Film sollte keine Abrechnung werden. Zumal klar war, dass ich nun selber all das in die Waagschale werfen müsste, was ich bislang meinen Protagonisten abverlangt hatte: Offenheit und Wahrhaftigkeit. Und ich musste meinen Vater davon überzeugen, dass es sich lohnt, dieses Wagnis einzugehen.

Welchen Stellenwert hatte das Theater Ihres Vaters für Sie als Sohn?
Das Pantheon nahm direkt nach seiner Gründung in den späten 80ern eine rasante Entwicklung und bekam schnell eine überregionale Bedeutung. Ich war damals 16, 17 Jahre alt. Die Politiker und politischen Journalisten der Bonner Republik kamen zu den allabendlichen Vorstellungen. Nachwuchsleute wie Helge Schneider und Michael Mittermeier wollten unbedingt dort auftreten und Bastian Pastewka studierte dort als Jugendlicher bereits die »Klassiker«. Zudem wurde das Theater an den Wochenenden zum Nightclub und geriet unverhofft zu Bonns angesagtester Disko. Das machte es für mich in dem Alter natürlich doppelt interessant. Ich wollte unbedingt dabei sein, obwohl ich zunächst nicht reindurfte, weil ich noch zu jung war. Meine Freunde und ich haben aber immer Wege gefunden, uns Einlass zu verschaffen. Und wenn wir uns dafür im Notausgangsschacht abseilen mussten. Das war eine sehr wilde und rauschhafte Zeit, mit der ich mich anlässlich des Filmes noch einmal intensiv beschäftigt habe.

Sie haben dann mit 18 Jahren auch im Pantheon mitgearbeitet.
Zu der Zeit hatte ich schon rund zwei Jahre mehr oder weniger alleine gelebt, weil mein Vater fast rund um die Uhr im Theater war und häufig bei seiner neuen Freundin übernachtete, die mit ihm zusammen das Theater leitete. Ich musste meinen Alltag selber organisieren, was erhebliche Effekte auf meine Schullaufbahn hatte. Im Pantheon zu sein, bedeutete auch, dass mein Vater und ich uns, zwanglos und unausgesprochen, nahe sein konnten – was sonst zu dieser Zeit kaum möglich war. Ich war auf dem Höhepunkt meiner rebellischen Phase angekommen. Gleichzeitig hatte das Theater auf mich eben diese Anziehungskraft und ich sah mir jede Kabarettvorstellung an, sodass ich schon als Jugendlicher und junger Erwachsener über eine – nicht unbedingt altersgemäße – Expertise in Sachen Kabarett verfügte

Wie hat Ihr Vater reagiert, als er den Film zum ersten Mal gesehen hat?
Als mein Vater für das erste Screening zu mir kam, waren wir beide ziemlich nervös. Er wusste nicht, was ich tatsächlich zum Inhalt gemacht hatte und es war klar, dass es – genau-so wie bei meinen bisherigen Filmen, etwa über Mario Götze oder Jens Spahn – keine Vetorechte für ihn gäbe. Am Ende waren wir beide erleichtert. Mein Vater findet den Film richtig gut, auch wenn der ja seine familiäre Abwesenheit und seinen exzessiven Künstler-Lebensentwurf kritisch hinterfragt. Wir sind uns heute näher als viele Jahre zuvor. Er sieht es als Geschenk, dass wir diese Gelegenheit zum intensiven Austausch hatten – gerade weil ihm das mit seinem Vater leider nicht mehr geglückt ist. So eine Aufarbeitung ist kein Spaziergang, aber sie lohnt sich. Auch ohne Kamera.


Fritz Litzmann, mein Vater und ich

2 Std. 24 Min.

Ein wohlmeinender kritischer Geist meinte zu Aljoscha Pause: »Eigentlich kannst du es nur falsch machen. Entweder deinem Vater gefällt der Film, dann ist er vielleicht zu unkritisch. Oder aber er mag ihn nicht, dann steht er womöglich zwischen euch.« Pause hat diese Gratwanderung dennoch gewagt und sich über zwei Jahre auf eine intensive Vater-Sohn-Reise begeben – neben 18 Stunden Interview-Material allein mit seinem Vater gab es unzählige Sichtungs- und Schneidesessions, die ihn mitunter an emotionale Grenzen brachten. Das Ergebnis ist gelungen. Pauses Dokumentarfilm besticht vor allem mit seiner Vielschichtigkeit: Nicht nur bietet er einen spannenden, unterhaltsamen Ausflug in die deutsche Kabarett- und Zeitgeschichte, sondern auch berührende Porträts zweier besonderer Charaktere und die stets respektvolle Aufarbeitung ihrer individuellen Biografien sowie reichlich Anlass zur Reflexion – von Kunst, Selbstverwirklichung, Familie und gesellschaftlichem Wandel. Zu Wort kommen neben den Pauses auch Wegbegleiter und Kabarettgrößen wie Helge Schneider, Bastian Pastewka, Carolin Kebekus, Gerhard Polt, Sebastian Pufpaff oder Michael Mittermeier. Prädikat besonders wertvoll.

Hannah Heubel


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