Literatur

29.04. | Hörbuch der Woche

Thomas Pynchon • Die Enden der Parabel

Hörbuch Hamburg
THOMAS PYNCHON
Die Enden der Parabel

Ein Hörspiel von Klaus Buhlert mit Franz Pätzold, Golo Euler, Bibiana Beglau u.a. Hörbuch Hamburg • 14 Std.

Eine knisternde Sensation

Er gehört zu den lebenden Mysterien der amerikanischen Literatur. Nun hat Thomas Pynchon erstmals einer Vertonung seines Hauptwerks »Die Enden der Parabel« zugestimmt.

Seine Literatur ist alles andere als zugänglich, denn sie verrätselt all das, was man Wirk-lichkeit nennen könnte. Und zugleich ist gerade die Wirklichkeit selten so gut eingefan-gen wie in den komplexen Welten von Thomas Pynchon, der noch vor David Foster Wallace und Don DeLillo als die Ikone der postmodernen amerikanischen Literatur gilt. Dass er seit 1953 die Öffentlichkeit strikt meidet, ist seinem Ruf als Legende nur zuträg-lich. Dass es ihn wirklich gibt, beweisen nur sein acht Romane und ein Dutzend Erzäh-lungen umfassendes Gesamtwerk, das er hütet wie seinen Augapfel.

Die Handlung seines Opus Magnum »Die Enden der Parabel« kreist um die Raketen Nazideutschlands und den Niedergang des Dritten Reichs. Pynchons Erzähler betrach-tet dabei vor allem die Ereignisse rund um GI Tyrone Slothrop, der in London stationiert ist und bei dem ein direkter Zusammenhang zwischen Einschlägen der deutschen V2-Raketen vor Ort und seinem Sexualtrieb besteht. Als er dieser rätselhaften Verbindung nach Kriegsende in Deutschland nachspürt, trifft er nicht nur auf Täter und Opfer, son-dern auch auf die Profiteure und Manipulationskünstler, die die gesetzlose Nachkriegs-gesellschaft prägen. Die allgemeine Paranoia ergreift auch Slothrop, der der Rolle der Großindustrie innerhalb der deutschen Vernichtungsmaschine immer näherkommt. Pynchon trieb die literarische Verschlüsselung dieser Welt auf die Spitze, indem er Traum- und Wahnvorstellungen mit den für die damalige Zeit typischen Mitteln von Hyp-nose, Bestrahlung und Intoxikation kreuzt. So ist es unmöglich, zu unterscheiden, wo in dieser von mehreren hundert Figuren bewohnten Erzählung Wahrheit aufhört und Fikti-on anfängt. Zugleich entsteht eine kaum fassbare Unmittelbarkeit, in der alles mit allem verbunden ist. Das hat auch dazu beigetragen, dass der Roman 1974 den National Book Award gewann und die Jury des Pulitzer-Preises überzeugte. Das Vergabekomitee emp-fand den Roman jedoch als obszön und setzte die Preisvergabe aus.

Über zwei Jahre hat sich Hörspielmacher Klaus Buhlert nun in die Produktion einer akustischen Version des fast 1.200 Seiten umfassenden Werks gekniet, nachdem Pyn-chon unter Auflagen – die politisch brisanten und als obszön inkriminierten Passagen mussten erhalten bleiben – erstmals der Vertonung seiner Literatur zugestimmt hat.

Pynchon beschreibe in seinem Roman die ganze Welt, erklärt der vielfach ausgezeich-nete Buhlert im Interview seine Faszination für den Text. Und er muss es wissen, hat er doch bereits Homers »Ilias« und James Joyce »Ulysses« vertont. Pynchon zeige »die Zeit, ihre Verrücktheit, ihren Wahnsinn und natürlich die unvermeidliche Paranoia« fürchterlich genau. »Hier agieren 400 Figuren, die das Nervensystem eines Regisseurs regelrecht besetzt halten. Sie haben dort permanent und bewusst gegen alle Regeln ver-stoßen, unverschämt schamlos agiert und reagiert. Das fühlte sich manchmal verdammt körperlich an, war ansteckend im Studio und kaum auszuhalten.« Diese Spannung hat sich auf die atmosphärisch knisternde Tonspur dieser vielstimmigen Roadnovel übertra-gen, die wie der Roman selbst eine Sensation ist.

Thomas Hummitzsch