Musik

29.04. | Album der Woche

Nils Wülker • Continuum

Warner

Jenseits von Hollywood

Nils Wülker ist seit Jahren einer der erfolgreichsten Jazzmusiker Deutschlands, verbindet in seinen groovebetonten Songs Hip-Hop, Pop und elektronische Musik. Mit seinem Album „Continuum“, aufgenommen mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, betritt er neue Pfade – genau wie auf seinen Touren durch die Alpen.

Nils Wülker, Sie sind professioneller Jazzer. Der aufmerksame GALORE-Leser weiß: Sie sind auch passionierter Bergsteiger und Übungsleiter beim Alpenverein. Waren Sie im vergangenen Winter Klettern?
Ich war im Februar Eisklettern an gefrorenem Wasser. Das ist etwas ganz Besonderes – denn Eis ist ja vergängliche Materie. Eisfälle stehen nicht lange, und vor allem jedes Mal anders, je nachdem, wie es friert. Man könnte meinen, dass es ein brachialer Sport ist: man geht mit Eispickel und Steigeisen an den Füßen hinauf. Aber es hat viel mit Balance zu tun, weil man nur zwei Zentimeter in das Eis eindringt, und das Ganze natürlich sehr fragil ist. Man muss schon aufpassen und im Blick behalten, wie die Temperaturen sind – Eis kann sich weiter ausdehnen oder zusammenziehen.

Auch das Coverfoto Ihres neuen Albums „Continuum“ hat mit Ihrem Hobby zu tun...
Das Motiv sind die Berge in Chamonix unweit des Mont Blanc. Das Bild stammt von einem professionellen Bergfotografen. Es passt zu der Musik, hat aber auch etwas in sich Ruhendes. Die Wolken überdecken etwas. Das vermittelt Erhabenheit und eine archaische Größe.

Sie haben anlässlich des Albums eigens Stücke für das Münchner Rundfunkorchester komponiert, die Arrangements stammen vom renommierten schwedischen Dirigenten Hans Ek. Streicher und Jazz, das kann schnell mal kitschig werden, oder?
Ich habe wirklich in erster Linie für das Orchester geschrieben – das steht im Mittelpunkt. Es gibt Projekte, bei denen der Solist sein Ding macht und dann wird noch was hinzugefügt. Das wäre mir zu wenig gewesen. Die Streicher spielen süßliche Akkorde und lange Töne, es gibt Flötengeglitzer, ein Harfenarpeggio – da landet man schnell in einem kitschigen Hollywoodumfeld. Solche Projekte haben alle Orchester mal gemacht. Deshalb sind die meist nicht begeistert, wenn ein Jazzmusiker anfragt. Diese grandiosen Musikerinnen und Musiker fühlen sich dann zurecht unterfordert. Bei unserem Projekt war das nicht der Fall – die spielen richtig schweres Zeug. Das Album soll eine abwechslungsreiche Klangreise sein.

Wie kam es zu dem Projekt?
Es war ein langgehegter Traum von mir, einmal mit Orchester zu spielen. Nach der langen Isolationszeit hatte es auch etwas Therapeutisches, Musik mit 60 anderen zu machen. „Continuum“ steht natürlich für Kontinuität. Eigentlich ist es der maximale Kontrast zu meinem letzten Album, bei dem ich mit viel Elektronik und alles allein gemacht habe. Jetzt wurde komplett akustisch in einem Studio aufgenommen. Aber das eine hätte ohne das andere nicht stattgefunden. Ich habe ziemlich atypisch für das Orchester geschrieben, habe Synthesizer-Grooves für Bläser und Streicher übersetzt.

Dabei hat Ihnen der berühmte Komponist Craig Armstrong geholfen, der schon den Score für etliche Blockbuster geschrieben und für Madonna, Björk und U2 gearbeitet hat. Was haben Sie von ihm gelernt?
Die wichtigste Lektion: Du bist nur deiner musikalischen Vision Loyalität schuldig. Ich habe gelernt, es immer intuitiv anzugehen und es fließen zu lassen. Das Schöne an instrumentaler Musik ist: Sie gibt keine inhaltliche Richtung vor. Das Publikum reagiert rein assoziativ auf meine Songs. Ich höre mir immer gern an, was den Leuten dabei so in den Sinn kommt.

Ihrer kleinen Tochter ist der neue Song „Nika’s Dream“ gewidmet. Was sagt sie dazu?
Sie reagiert sehr intensiv auf Musik, und jedes Mal anders. „Nika’s Dream“ habe ich ihr vorgespielt, als es fast fertig war. Dann wollte sie es immer abends vor dem Schlafengehen hören. Letztes Jahr war sie beim Soundcheck dabei, bevor wir ein Konzert gespielt haben. Seitdem will sie immer zu mir ins Studio: „Papa, ich muss ein Konzert spielen!“ Dann klampft sie auf einer Gitarre herum. Und natürlich bekommt sie auch Töpfe, um Schlagzeug zu spielen.

Nils Wülker
Continuum

Warner, 29. April

Jazz, Pop und ein 60-köpfiges Orchester – das hat das Potenzial für süßlichen Kitsch. Doch Nils Wülker hat den Sound seiner vierköpfigen Band nicht einfach durch Streicher und Bläser verstärkt – sondern stellt das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks in den Mittelpunkt seiner neuen Kompositionen. Sechs neue Stücke und vier komplett überarbeitete Neuinterpretationen älterer Songs hat der Münchner Trompeter für „Continuum“ geschaffen. Die Dynamik macht das Album so spannend: auf leise Violinen-Parts folgen laute Orchester-Tutti, dann setzen mächtige Rock-Drums ein. Wülkers Trompete ist nur ein Instrument von vielen – das macht den Reiz dieses Albums aus, auf dem Stücke wie „Hybrid Balance“ wie ein aufwühlender Soundtrack für einen Arthouse-Film fungieren. Weder Pop noch Jazz noch Klassik – ein innovativer Genremix.


Foto: Thomas von Aagh

Jan Paersch