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28.08. | DVD der Woche

Here and Now

HERE AND NOW - STAFFEL 1

Warner • 23. August

Here and NowFernsehen ist kein Fenster zur Welt, sondern ein Spiegel der Gesellschaft. So zumindest lässt sich Alan Balls neues Familiendrama „Here and Now“ lesen.

Man stelle sich einmal vor, es ziehen 100 weitere Jahre ins Land, das Jahr 2018 verblasst zu Erinnerungen an einen lachhaft en, amerikanischen Präsidenten, an Digitalisierungseuphorie und Globalisierung. Einige betreiben „Historie“ anhand von medialen Narrativen – Fernsehserien, Filmen, Musik und stoßen auf „Here and Now“. So plakativ der Titel ist, so wird der zukünft ige Historiker zumindest einen Einblick in die Verfasstheit unserer Gegenwart erlangen. Alan Ball, der zuvor mit „Six Feet Under“ und „True Blood“ zeitgenössische Serien produzierte, richtet seinen Blick auf die Familie Bayer-Boatwright in Portland. Die Eltern sind Alt-68er, privilegierte Weiße. Die Kinder sind adoptiert aus Liberia, Kolumbien und Vietnam, mittlerweile erwachsen, erfolgreich und doch immerzu mit ihrer Vergangenheit beschäftigt. Ball entwirft , wie schon so oft , ein Netz aus Abhängigkeiten, eine ausschnitthafte Bestandsaufnahme des Lebens im 21. Jahrhundert. Ein bisschen zu sexy sind seine Darsteller, um von einer Art Realismus zu sprechen. Dafür aber müssen sie nicht sympathisch sein. Sie arbeiten sich ab an Beziehungskonzepten, Lebensentwürfen, Drogen, Religion und Politik. Während Familienvater Greg (Tim Robbins) als Philosophieprofessor das Versagen der Menschheit postuliert, lässt Ball mit den Visionen des jüngsten Sohns Ramon eine Prise New-Age-Sinnsuche einfließen. Der „poröse Mensch“, der unerklärliche Dinge erlebt und verbunden ist mit anderen, ist der Gegenentwurf zu den Ich-bezogenen Figuren, die vor lauter psychologischen Diagnosen gar nicht mehr wissen, wer sie eigentlich sein wollen. Alle fühlen sich überfordert und verloren, auf der Suche nach sich selbst und dem Sinn des Lebens. Dabei gelingen ihnen zutiefst menschliche Ausrutscher: Affären, Exzesse und zwischenmenschliche Experimente. Natürlich ist das nicht gemütlich, kein Wohlfühlfernsehen, keine weichgespülte Soap. Man kann sich durchaus verschlucken an den Alltagsrassismen und am aufkeimenden Hass gegenüber den „Anderen“. Sollte man auch, denn gerade in Amerika, aber auch in Deutschland und Europa wird das Klima nicht unbedingt freundlicher gegenüber denen, die abweichen vom weißen Mittelstand. Liest man „Here and Now“ als Spiegel der Gesellschaft , bleibt offen für narrative Seitenpfade und lässt uneindeutige Wendungen zu, so bieten die zehn Folgen durchaus einen Ausschnitt aus dem "Hier und Jetzt".

FAZIT: Produzent Alan Ball führt mit „Here and Now“ fort, was er mit „Six Feet Under“ begonnen hat: Eine ausschnitthafte, gut erzählte Bestandsaufnahme der Gegenwart. Das Konglomerat an Themen ist dabei so umfangreich, dass der Zuschauer sich den Ereignissen hingeben muss. Belohnt wird er mit philosophischen Fragen des 21. Jahrhunderts – und einem absolut überzeugenden Cast

Marina Mucha