Kino
27.02. | Kinostart der Woche
Like A Complete Unknown
Foto: The Walt Disney Company (Germany)
Das junge Musik-Genie
Rund 20 Jahre nach „Walk the Line“ über Johnny Cash widmet sich James Mangold mit Bob Dylan erneut einem der ganz großen Musiker des 20. Jahrhunderts. Wie er dabei vorgegangen ist und warum Timothée Chalamet dafür der perfekte Hauptdarsteller ist, verrät der Oscar-nominierte Regisseur uns im Interview.
Mr. Mangold, Sie wurden 1963 geboren, dem Jahr, in dem Bob Dylan der große Durchbruch gelang. Sind Sie mit seiner Musik aufgewachsen?
In gewisser Weise ja, aber die längste Zeit war Dylan für mich vor allem die Musik meines Vaters. Für mich selbst entdeckte ich ihn so wirklich erst in den 1980er Jahren, da erschien sein Album „Infidels“, als ich gerade im College war. Das fand ich so großartig, dass ich auch begann, mich ernsthaft mit seinen früheren Werken und seiner kulturellen Bedeutung zu befassen. Wenn man das einmal tut, kann sich ihm eigentlich kaum entziehen. Als Songschreiber ist Dylan schon eine Klasse für sich.
Half Ihnen die Qualität seiner Songs auch bei der Arbeit am Drehbuch?
Das tat sie, wie mein Ko-Autor Jay Cocks und ich ziemlich schnell feststellten. Seine Songs sind so wirkmächtig und ergiebig, dass Dylan auf magische Weise fast unser dritter Mann bei der Drehbucharbeit war. Mir war es ganz wichtig, dass die Musik im Film im Zentrum steht und nicht nur schmückendes Beiwerk ist. Als ich die Lieder chronologisch entlang der Story sortierte, wurde immer offensichtlicher, wie verletzlich er sich in seinen Texten macht und wie persönlich er darin wird. Seine Songs gewinnen im Kontext seiner Biografie noch einmal eine vollkommen neue Dimension. Da wird dann zum Beispiel aus „Song to Woody“ nicht einfach nur ein Lied für den von ihm bewunderten Woody Guthrie, sondern ein Song, der in der Absicht geschrieben wurde, dass Dylan sich damit auf eine 4000 Meilen lange Reise begibt, um seine Heimat hinter sich zu lassen und ihn am Ende seinem kranken Idol persönlich vorzusingen.
Haben Sie sich bei der Geschichte viele Freiheiten gegenüber der Realität herausgenommen?
Die Songs kommen definitiv in der chronologisch richtigen Reihenfolge vor, und bei vielem, von den Kostümen bis zu Bobs Apartment, haben wir uns eng an existierenden Aufnahmen orientiert. Aber wo so ein Film vor allem wahrhaftig und realistisch sein muss, ist beim Tonfall, der Atmosphäre und den Emotionen. Das hat im Zweifelsfall Priorität vor historischen Kleinigkeiten. Wichtig ist also, dass Dylan und Joan Baez ein Duett beim Newport Folk Festival singen, nicht, ob das nun in Wirklichkeit ein Jahr früher oder später stattgefunden hat.
Anfangs hatten Sie gar nicht vor, Dylan persönlich für „Like a Complete Unknown“ zu treffen, korrekt?
Nun, es gibt den Film nur seinetwegen, denn sein Team hatte sich damals die Rechte an dem Buch „Dylan Goes Electric!“ von Elijah Wald gesichert, eben um daraus etwas zu machen. Aber als ich dann an Bord kam, ging ich nicht davon aus, dass er Lust auf lange Gespräche mit hier haben würde. Was auch okay war, denn an Material mangelte es mir nicht: von seinen Songs angefangen bis hin zu den Büchern, die über ihn geschrieben wurde. Und all den Büchern, die alle seine Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter geschrieben haben. Doch als die erste Drehbuchfassung fertig war, bekam ich einen Anruf, dass Bob das Skript gefalle und er sich mit mir unterhalten wolle. So saßen wir dann doch ein paar Nachmittage zusammen, wir gingen jede Seite im Drehbuch durch und ich konnte ein paar Fragen stellen, die ihm vermutlich noch nie gestellt worden waren.
Dylan soll auch zufrieden sein mit Timothée Chalamet als Hauptdarsteller. Was macht ihn zur richtigen Wahl?
Erst einmal hatte ich ein Bauchgefühl. Ich wusste, dass Timmy recht musikalisch und schauspielerisch unglaublich talentiert ist. Aber vor allem erkannte ich einige der lebhaften, verspielten Seiten von Dylans Persönlichkeit in ihm wieder und glaubte, dass er da Parallelen finden könnte. Darauf kommt es nämlich bei der Verkörperung berühmter Persönlichkeiten meiner Meinung nach an. Es geht nicht um Imitation oder Mimikry, sondern darum, dass der Schauspieler einen echten Bezug zu der porträtierten Person herstellen und sie mit Leben und einer Seele füllen kann.
Like A Complete Unknown
2 Std. 21 Min.
Als 20-jähriger Unbekannter kommt Bob Dylan (Timothée Chalamet) 1961 nach New York und wird dort neben alten Hasen wie Pete Seegers (Edward Norton) schnell zum neuen Star der Folk-Szene. Der wachsende Ruhm erschwert Beziehungen wie die zu Sylvie (Elle Fanning) oder Kollegin Joan Baez (Monica Barbaro), und als Dylan dann auch musikalisch neue Grenzen auszuloten beginnt, setzt er einiges aufs Spiel. Aus Aufstieg und Wandlung des späteren Nobelpreisträgers macht James Mangold ein Biopic, in dem die Musik eine noch wichtigere Rolle spielt als private Dramen. Wirklich sehenswert wird sein bei Redaktionsschluss achtfach Oscar-nominiertee und visuell ungemein stimmig umgesetzter Film aber vor allem durch das exzellente Ensemble, in dem neben Chalamet auch die anderen Darsteller*innen brillieren. Und das durchaus auch stimmlich.
Patrick Heidmann