Literatur

26.09. | Buch der Woche

Yuval Noah Harari • 21 Lektionen für das 21. Jahrhundert

Yuval Noah Harari

21 Lektionen für das 21. Jahrhundert

C.H. Beck ? 18. September

Mehr als Algorithmen?

Yuval Noah Harari spielt längst in der Oberliga der globalen Intellektuellen. Mit „21 Lektionen für das 21. Jahrhundert“ muss aber auch er sich eingestehen, dass er nicht auf alles eine Antwort hat.

Der israelische Historiker hat sich für sein neustes Sachbuch inhaltlich einiges vorgenommen. In „21 Lektionen für das 21. Jahrhundert“ unternimmt er den Versuch, alle großen Fragen, die die Menschheit derzeit beschäftigen, abzuarbeiten. Er schlägt anhand von Phänomenen wie dem Aufstieg Donald Trumps oder dem Brexit große Bögen vom Untergang des Liberalismus und der Demokratie, bis hin zu künstlicher Intelligenz, der Entstehung einer „Klasse der Nutzlosen“ und dem Zusammenbruch des Ökosystems unseres Planeten. Sein Vorgehen, das bereits „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ und „Homo Deus. Eine Geschichte von Morgen“ zu außergewöhnlichen Lesevergnügen machte, behält er bei: Harari erläutert seine Thesen eloquent, einfallsreich, humorvoll und anhand schillernder Beispiele, die er eben nicht nur aus der Geschichte, sondern auch aus der Popkultur greift. Mit seinem Debüt, in dem Harari die 70.000-jährige Zeitspanne der menschlichen Entwicklung auf gut 440 Seiten zusammenfasste, bewies er das außergewöhnliche Talent, komplexe Geschehnisse stringent zu bündeln. Auch in „21 Lektion für das 21. Jahrhundert“ gelingt ihm dies bis auf wenige Ausnahmen. Einige Fragen, die Harari stellt (wie etwa, ob der Liberalismus sich aus seiner derzeitigen Krise erholen wird), sind schlichtweg heute nicht abschließend zu beantworten, sodass er sie nur anzureißen vermag. Wird die Kombination von Informations- und Biotechnologie die Menschheit in eine dominierende Elite und eine große Masse nutzloser Homo Sapiens spalten? Werden unsere Leben in nicht allzu ferner Zukunft allein von Algorithmen bestimmt, die uns besser kennen, als unser Partner, unsere Familie, ja gar als wir uns selbst? Begeben wir uns dank des leichtfertigen Umgangs mit dem wichtigsten Gut der Gegenwart – unseren Daten – geradewegs auf den Weg in die digitale Diktatur? Oder sind all diese Gedankengänge sowieso längst obsolet, weil wir zuvor auf Grund des Klimawandelns von steigenden Meeresspiegeln überflutet werden, während wir uns auf Facebook selbst dabei zuschauen? Harari kann umfangreiche Antworten auf viele dieser komplexen Fragen liefern und greift dabei teilweise auf bereits bestehende Lösungsansätze zurück. Wenn es beispielsweise im Kapitel „Arbeit“, um die perspektivisch drohende Massenarbeitslosigkeit durch die Erschaffung von Robotern und künstlicher Intelligenz geht, offeriert Harari einen veränderten Blickwinkel, der nicht erst seit dem Aufkommen von intelligenten Maschinen vorgeschlagen wurde: „Möglicherweise müssen wir einen Schalter in unserem Kopf umlegen und anerkennen, dass Kindererziehung vermutlich die wichtigste und herausforderndste Tätigkeit auf dieser Welt ist.“ Damit bläst er natürlich in das Horn unzähliger Frauen auf der ganzen Welt, die schon seit Jahrhunderten versuchen ebendiesen Gedankengang in den Hirnen der kapitalistischen Systeme zu verankern. Aber vielleicht muss Harari es in seinen schönen Worten wiederholen, auf das es auf offene Ohren stoße.

Katharina Raskob