Literatur

26.05. | Buch der Woche

Viet Thanh Nguyen • Die Idealisten

Revolutionsverkatert

Vom Doppelagenten zum Drogendealer. Viet Thanh Nguyen setzt die abenteuerliche Exilbiografie seines hellsichtigen „Sympathisanten“ fort.

In Vietnam wird der Vietnamkrieg sinnigerweise „Amerikakrieg“ genannt – aber eben auch nur dort. Es ist ein Beispiel dafür, dass auch in einer postkolonialen Welt die Geschichte immer noch aus der Sicht der Großmächte betrachtet wird, egal wie lang die Stippvisite war und unabhängig davon, ob der Krieg überhaupt gewonnen wurde. In seinem Roman „Der Sympathisant“ erzählte Viet Thanh Nguyen vor fünf Jahren die Geschichte eines kommunistischen Doppelagenten, der im Auftrag der südvietnamesischen Geheimpolizei Verdächtige verhören muss und im Zuge dieser Beschäftigung eine gewisse Menschenkenntnis erwirbt. Die psychische Deformation im Folterkeller spiegelt dabei den ideologischen Gegensatz zwischen Kommunismus und Kapitalismus sowie die kollektive Persönlichkeitsspaltung einer Ex-Kolonie, die sich immer noch durch den Blick der Kolonialmacht definiert. Für „Der Sympathisant“ gab es damals den Pulitzerpreis, und Nguyen, der in Kalifornien als Professor für Ethnic Studies arbeitet, wurde für seinen analytischen und zuweilen bissigen Kommentar gefeiert.

In „Die Idealisten“ wartet jetzt die Fortsetzung der Geschichte des namenlosen Ich-Erzählers, den es 1981 nach Paris verschlägt. Weil sein Vater ein französischer Priester in Vietnam war, bietet sich die Stadt mit ihrer vietnamesischen Exil-Community als Zufluchtsort an. In Frankreich dauert es nicht lange, bis der Flüchtling ein praktisches Talent als Drogenhändler entdeckt und daraufhin die Pariser Intelligenzija inklusive der arrivierten Salonbolschewiken beliefert. Dabei entspinnt sich über kurz oder lang auch ein Bandenkrieg mit einer algerischen Dealer-Gang, die sich als „koloniale Stiefkinder“ ebenfalls auf der Fußmatte ihrer ehemaligen Besatzer wiederfinden. Die Unterweltabenteuer sind aber einmal mehr nur die Kulisse, die Nguyen für sein eigentliches Thema aufzieht. Als Wanderer zwischen den Welten und selbsternannter Sympathisant ganz unterschiedlicher Weltanschauungen ist sein Protagonist ein aufmerksamer und philosophisch beschlagener Beobachter, der in spöttischem Tonfall das Selbstverständnis der Grande Nation kommentiert. Auf Französisch, findet er, klingt eben alles besser, wird aus einem Kriegseinsatz ein Zivilisationsauftrag und aus Stopfleber eine Delikatesse. Wie auch schon sein Romanvorgänger setzt sich „Die Idealisten“ mit Fragen der Identität auseinander, die durch das aufgeworfen werden, was Nguyen „mentale Kolonisierung“ nennt und heutzutage verstärkt in den Fokus der Forschungsdebatte rückt. Damit leistet der Autor einerseits einen Beitrag zur Rassismus-Analyse, denkt aber andererseits auch verschiedene Theorien gesamtgesellschaftlicher Revolution mit. Das vorübergehende Fazit, das er seinen Figuren in den Mund legt, fällt gemischt aus. „Revolutionen müssen nach fünfzig, nach hundert Jahren beurteilt werden, wenn die Leidenschaften abgekühlt sind und die Errungenschaften der Revolution Zeit hatten, Fuß zu fassen und zu gedeihen“, mutmaßt eine der Idealistinnen. „Dann lebe ich nicht mehr“, erwidert der Sympathisant. „Wie praktisch.“

Viet Thanh Nguyen
Die Idealisten

Blessing, 496 Seiten

Markus Hockenbrink