Literatur

25.11. | Buch der Woche

Maria Popova • Findungen

Diogenes

MARIA POPOVA
Findungen

Diogenes • 826 Seiten

Streichhölzer der Erneuerung

Wo Frauenrechte ihren Ursprung haben und wie Denkerinnen zu Aktivistinnen wurden: Maria Popovas neuer Band » Findungen « präsentiert uns eine Sammlung intellektuellen Mutes.

Sie waren Intellektuelle und Aktivistinnen, die ihrer Zeit weit voraus waren. Ihnen setzt Maria Popova mit ihrem Band »Findungen« ein fast tausendseitiges Denkmal. Versammelt sind jedoch nicht nur die ganz bekannten Namen, sondern Intellektuelle, die man beinahe vergessen hätte. So zum Beispiel Margaret Fuller, eine frühe Feministin, die mit Gesprächskreisen Pionierarbeit in Sachen Frauenrechte leistete. Oder die Bildhauerin Harriet Hosmer. Bereits mit ihrer Skulptur »Beatrice Cenci« schuf sie ein opulentes Reflexionswerk zum Sujet der Gewalt – widmet es sich doch einer berühmt gewordenen römischen Patrizierin, die nach jahrelangen Missbrauchsexzessen ihren Vater ermorden ließ. Als nicht minder bedeutend erwies sich Hosmers Arbeit »Zenobia in Ketten«, die »zum verbindenden Element zwischen dem Schicksal der Frauen und dem Schicksal der Sklaven« wurde.

Dass sich Popova den Biografien all der Kämpferinnen mit viel Gespür und auf Basis persönlicher Quellenbestände wie Briefen und Notizen nähert, muss man als einen beachtlichen Gewinn bezeichnen. Aus ihr spricht schon im Vorwort eine sich unmittelbar auf die Lektüre übertragende Leidenschaft: »So viel von der Schönheit, so viel von dem, was unser Streben nach Wahrheit antreibt, ergibt sich aus den unsichtbaren Verbindungen – zwischen Ideen […], zwischen schemenhaften Gestalten, die sich, bevor das Fackellicht einer Revolution den neuen Tag erhellt, in der Dunkelheit begegnen, mit kaum mehr als einem verschwörerischen Nicken und einem Streichholz, das von einer Hand zur nächsten wandert.« Gerade der letzte Teilsatz offenbart die Auswahlkriterien der Autorin. Was auf den ersten Blick als etwas beliebige Kompilation von Intellektuellen anmutet, ergibt erst in der subtilen thematischen Vernetzung der Kapitel einen Sinn, der besagt: Zu allen Zeiten gab es Visionäre für gesellschaftliche Gleichheit, Teilhabe und Freiheit. Selbst Johannes Kepler, vor allem eine Gallionsfigur der Naturwissenschaften, gibt sich bei genauerer Betrachtung seiner Vita in einer Zeit, in der man noch nicht einmal das Wort »Gender« kannte, als Vorreiter einer postmodernen Geschlechtertheorie zu erkennen. Als seine Mutter hexerischer Praktiken verdächtigt wurde, »argumentierte er, ein Vierteljahrtausend bevor die Sozialpsychologie zum offiziellen Studienfach wurde […], dass alles, was seine Mutter in so große Schwierigkeiten gebracht hatte […], auf der Tatsache beruhte, dass sie nie von der Erziehung profitiert hatte, die ihrem Sohn qua Geschlecht vorbehalten war.«

Woher stammt eigentlich die Neugier der Maria Popova? Der Idee zu »Findungen« geht auf eine komische Manier im Büroalltag einer Werbeagentur zurück. Aus anfänglichem E-Mail-Verkehr unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern über vermeintlich unnützes Wissen ging zuletzt die Plattform »Brain Pickings« hervor, eine Web-Enzyklopädie, die sich mit jedem neuen von Popova gelesenen Buch erweitert. Ihr aktueller Wurf ist daher weniger Ausweis eines altklugen Universalgelehrtentums als vielmehr einer Universalneugierde.

Björn Hayer