Musik

25.09. | Album der Woche

The String Theory • The Los Angeles Suite

Project C

Foto: Malte Hagemeister

THE STRING THEORY
The Los Angeles Suite

Project C • 28. August

Leben und musizieren in L. A.

Das neoklassische Orchester The String Theory aus Berlin nutzte ein paar Tage in Los Angeles, um zusammen mit Musikern aus der Stadt ein eindrucksvolles Album zwischen Klassik, Electronic und Pop aufzunehmen. Dabei zeigt das zuletzt für einen Grammy nominierte Kollektiv, wie es gelingen kann, Berliner Abenteuerlust mit dem Know-how Hollywoods zu kombinieren.

Ein paar freie Tage in Los Angeles, die ließen sich auch sehr gut ohne Arbeit verbringen. Doch das Berliner Künstlerkollektiv The String Theory hatte im April 2019 anderes im Sinn. Gerade eben hatte das Ensemble zwei ausverkaufte Konzerte zusammen mit dem schwedischen Indie-Folk-Star José Gonzalez gespielt, doch wie das bei Künstlerkollektiven so ist: Der kreative Geist kommt nur schwer zur Ruhe. Also stampfte das Ensemble ein Projekt mit großem Anspruch aus dem Boden: Innerhalb einer einzigen Woche sollte ein neues Album entstehen, mit Beteiligung möglichst vieler Kunstschaffender aus Los Angeles – die, als die Idee geboren wurde, von ihrem Glück noch gar nichts wussten. »Klingt ziemlich wahnsinnig«, sagt PC Nackt, neben Ben Lauber einer der Gründer von The String Theory. Das PC steht für Patrick Christensen, der Künstlername PC Nackt erinnert an die Pseudonyme der Berliner Avantgardezeit in den frühen 80er-Jahren, als sich die Protagonisten der Szene Gudrun Gut, Blixa Bargeld oder Ratten-Jenny nannten. Sven Regener schreibt in seiner Lehmann-Reihe über diese Typen, in seinen Geschichten würde mühelos auch PC Nackt einen Platz finden. Der Wahnsinn nahm Gestalt an, als die Wunschkünstler aus Los Angeles mit eigenen Ideen und Demos ins Studio kamen. Die Aufgabe von The String Theory: Aus diesen Skizzen ausgemalte Bilder anfertigen. »Und hier kommt unser Berliner Ansatz ins Spiel«, sagt PC Nackt, der sich innerhalb des Kollektivs hauptsächlich als Produzent und Dirigent versteht. Während Musikschaffende aus Los Angeles sehr professionell denken, was insbesondere daran liegt, dass sie viel für die großen Hollywood- Studios arbeiten, wo es ausgesprochen effizient zugeht, bringen Berliner einen »freien Geist und Abenteuerlust« mit, wie PC Nackt es formuliert. »Das sah dann so aus, dass die beteiligten Künstler tagsüber ihre Ideen vorstellten und mein Kreativpartner Sebastian Gäbel und ich uns nachts daranmachten, Arrangements zu schreiben, damit aus den Skizzen tatsächlich Bilder werden.« Diese Arbeitsweise erwies sich als körperlich und geistig ziemlich anstrengend, was allen Beteiligten bewusstwurde, als PC Nackt und Sebastian Gäbel nach der zweiten beinahe schlaflosen Nacht kaum noch in der Lage waren, einen simplen Satz unfallfrei auszusprechen. Doch an dieser Stelle nahm das Abenteuer erst richtig Fahrt auf: Es meldete sich Daniel Clive McCallum, Australier mit Sitz in L. A., Oboist. »Daniel sah uns mitleidig an und sagte, er könne ja die nächste Nachtschicht übernehmen.« Okay, aber kann er das? Klar kann er das, McCallum, Jahrgang 1989, hat eine Reihe von Filmsoundtracks arrangiert und orchestriert, auch zeichnete er für die orchestrale Musik der Olympischen Sommerspiele 2016 in Rio verantwortlich. »Wenn so jemand anbietet einzuspringen, dann ist das nicht nur eine große Hilfe, sondern auch eine Ehre«, sagt PC Nackt – wobei es für die Macher von The String Theory dennoch ungewöhnlich war, die Verantwortung für den künstlerischen Prozess auf jemand anderen zu übertragen. Am Ende hat die Aufgabenverteilung dem Album aber sehr gut getan: »The Los Angeles Suite« funktioniert tatsächlich wie eine in sich geschlossene Aneinanderreihung von Stücken, die in verschiedenen Klangfarben davon erzählen, wie sich das Leben in L.A. abspielt: rauschhaft und verschlafen, sonnig und verträumt, überdreht und voller Hoffnungen. Was aber ist das eigentlich für eine Musik? Wir finden opulente Streicher und Elektronik, laute Gitarren und sich selbstbewusst in Szene setzende Stimmen, schwelgerische Harmonien und rebellische Dissonanzen. »Wir verstehen uns längst als Post-Genre-Künstler«, sagt PC Nackt, der in Berlin eine Electro-Punk-Band betreibt, aber auch Musik fürs Ballett schreibt. Da passt es ins Bild, dass es noch eine zweite Platte von The String Theory gibt, deren Ursprünge ebenfalls in L.A. liegen und auf der das Kollektiv zu Beiträgen des Spoken-Word-Künstlers Sekou Andrews spielt: Für dieses Werk wurde das Berliner Kollektiv 2020 für den Grammy in der Kategorie »Best Spoken Word Album« nominiert.

FAZIT: »The Los Angeles Suite« ist eine der ersten Veröffentlichungen des neuen Hamburger Labels Project C, das sich auf den Bereich Neo-Klassik spezialisiert. Zwar klingen The String Theory und Gäste auf einigen Stücken laut und eindringlich (besonders stark: der Beitrag des Spoken-Word-Meisters Zaire Black auf » Abundance «), die Grundstimmung der Platte ist jedoch orchestral, schwelgerisch und atmosphärisch.

André Bosse