Musik

25.04. | Album der Woche

Esther Abrami • Women

Sony Classical

25.04. | Album der Woche - Esther Abrami • Women
Foto: Stéphanie Volpato

Ein Hoch auf Komponistinnen

Als Studentin spielte Esther Abrami kein einziges Stück von einer Frau auf ihrer Geige. Deren Werke waren nicht Teil des Kanons. Deshalb machte sich die Französin für ihr Album »Women« auf die Suche nach Musik von Komponistinnen. Ihre Einspielung ist eine Hommage an sie und ihre oft ungewöhnlichen Geschichten.

Selbst nachdem die Geigerin Esther Abrami ihren Master am Birmingham Conservatoire gemacht hatte, war ihr nie ein Werk einer Frau begegnet. »Obwohl ich professionelle Musikerin war, kannte ich damals keine einzige Komponistin«, erzählt sie im Videointerview. »Das fand ich schockierend.« Also begann die Französin zu recherchieren. Zuerst entdeckte sie Clara Schumann, spielte eine ihrer Romanzen, und nahm sie schließlich für ihr Debütalbum auf – neben einem Stück von Amy Beach: »Ich habe eine kleine Tür geöffnet und eine völlig neue Welt entdeckt.« Diese hat Esther Abrami, geboren 1996 in Aix-en-Provence, nie mehr losgelassen. Immer wieder interpretierte sie Kompositionen von Frauen. Zum Beispiel von Rachel Portman oder Anne Dudley, beide wurden für ihre Filmmusik mit einem Oscar ausgezeichnet. Natürlich finden sich auch Werke von ihnen auf Abramis jüngster Einspielung »Women«. Sie schwärmt: »Ich liebe Rachel Portmans Melodien und das Positive in ihrer Musik.« Zudem bewundert sie die Britin als Mensch: »Sie ist so bescheiden, dabei hat sie den Weg für andere Komponistinnen geebnet.« Esther Abrami weiß inzwischen, dass ziemlich viele Frauen komponieren. Darum war es gar nicht so leicht für sie, jene 14 Komponistinnen aus ganz unterschiedlichen Epochen auszuwählen, die es nun auf ihr Album geschafft haben. »Natürlich habe ich mich in ihre Musik verliebt«, erklärt die Geigerin. »Darüber hinaus habe ich mich mit ihrem Leben beschäftigt und konnte mich wirklich in ihren Geschichten wiederfinden.« Dieses Identifikationspotenzial habe sie bei männlichen Komponisten nie entdeckt: »Mozart, Beethoven und all die anderen habe ich bewundert. Trotzdem konnte ich mich nie in ihnen wiedererkennen.« Besonders faszinieren die Französin Frauen, die gegen den Strom geschwommen sind. Die Britin Ethel Smyth machte sich für Frauenrechte stark, ihr »March of the Women« wurde die Hymne der Suffragettenbewegung, zu der auch Emmeline Pankhurst gehörte. Die Aktivistin forderte mit Gleichgesinnten das Frauenwahlrecht in Großbritannien ein. Eine Rede von ihr hat Esther Abrami gesampelt und mit »March of the Women« verflochten: »Für mich hat diese Mischung etwas sehr Kraftvolles, weil diese Frauen für eine bessere Zukunft gekämpft haben.« Sieht die 28-Jährige diese dadurch gefährdet, dass immer mehr rechtskonservative Politiker an die Macht kommen? »Natürlich kann einem das manchmal Angst machen«, räumt sie ein. »Allerdings bin ich ein sehr positiver Mensch und glaube, man kann darauf bauen, dass sich die Kommunikation unter Frauen verbessert hat. Wir sind mehr und mehr zu einer Gemeinschaft geworden.« Sogar in der Musikwelt macht Abrami diesen Trend aus: »Lange stand man im Wettbewerb zueinander. Aber inzwischen habe ich viele wunderbare Kolleginnen, wir unterstützen uns gegenseitig.« Dennoch gab es auch zuvor schon sehr couragierte Frauen wie Ilse Weber. Die Jüdin wurde 1942 im Konzentrationslager Theresienstadt inhaftiert und arbeitete dort als Kinderkrankenschwester. Als eine Gruppe von Kindern nach Auschwitz deportiert wurde, begleitete sie sie freiwillig. Auf dem Weg in die Gaskammer sollen sie ihr Lied »Wiegala« gesungen haben, das ebenfalls auf Esther Abramis Album zu hören ist. Aus ganz persönlichen Gründen – sie hat selber jüdische Wurzeln: »Auch einige meiner Verwandten waren in Auschwitz.« Ihr Urgroßvater überlebte den Holocaust nicht, das hallte in ihrer Familie nach: »Ich habe mit meinen Großeltern über diesen dunklen Teil der Geschichte gesprochen.« Allein deshalb verwundert es nicht, dass Esther Abrami mit ihrem Quintett »Wiegala« voller Wehmut interpretiert. Es kontrastiert mit dem Miley-Cyrus-Titel »Flowers«, der musikalisch deutlich mehr Leichtigkeit verströmt, wenn die Geigerin ihn mit dem ORF Radio-Symphonieorchester Wien vertont. Puristen mögen sich fragen, warum ein Popsong auf dem Album ist. Esther Abrami, die als Content Creator aktiv ist, findet das selbstverständlich: »Meine Follower sind breit gestreut, inklusive junger Leute. Darum wollte ich auch etwas Modernes ins Repertoire integrieren. Mich selbst hat der Song während einer Trennung immer wieder aufgeheitert.«


Esther Abrami Women Cover Esther Abrami
Women
Sony Classical • 25. April

Auf ihrem Album hat Esther Abrami ihren Forscherinnendrang ausgelebt. Mit Hildegard von Bingens besinnlich-spirituellem »O Virtus Sapientiae« ist die Geigerin zurück ins Mittelalter gegangen. Ina Boyles spätromantisches Violinkonzert präsentiert sie als Weltersteinspielung – melodisch, emotional, entspannend. Durch Rachel Portmans »Apple Tree« zieht sich ein Hauch von Nostalgie. »Mi Teresita (Little Waltz)« kommt als von südamerikanischen Rhythmen inspirierter Walzer daher. Komponiert hat ihn die gebürtige Venezolanerin Teresa Carreño, zu Lebzeiten eine gefeierte Pianistin. Dennoch wurden ihre eigenen Werke übersehen. Mit »Transmission« gibt es eine Eigenkomposition, bei der sich Klavier und Geige eingangs vereinigen. Esther Abrami hat sie ihrer Großmutter gewidmet, die ihr ihre eigene Violine geschenkt hat.

Dagmar Leischow