Musik

25.01. | Album der Woche

Bryan Ferry and his Orchestra • Bitter Sweet

BitterSweetFerryBRYAN FERRY AND HIS ORCHESTRA

Bitter Sweet

BMG/Warner • 30. November

Musikalisch hatte Roxy-Music-Sänger Bryan Ferry schon immer einen Koffer in Berlin stehen – und zwar im tragisch-glamourösen Zwanzigerjahre-Milieu. Sein neues Album stattet dem Jazz Age einen verspäteten Besuch ab und zelebriert dabei den Charme des stilvollen Untergangs. Statt Brecht und Weill gibt es allerdings eigene Songs im neuen alten, gerade wieder modern gewordenen Gewand zu hören.

Die beste Verkleidung ist gar keine. Als Roxy Music Anfang der Siebziger dazu antraten, der Welt mit Glam- und Artrock sehr höflich gegen das Schienbein zu treten, trugen fünf der sechs Mitglieder Masken, Outfits und Kostüme, die sie wie derangierte Paradiesvögel aussehen ließen. Plateauschuhe, Federboas, Laméhosen und Polyesterjacken in den grellsten Farben ergänzten eine fantastisch anmutende Musik, die klang, als wäre die Welt während der dekadentesten Cocktailparty aller Zeiten untergegangen. Nur Bryan Ferry zeigte sich mit adretter Frisur und vergleichsweise bürgerlichem Aufzug: das Bild des klassischen Snobs, der auch dann so aussieht, als trage er gerade einen weißen Blazer und ein Whiskyglas, wenn das ausnahmsweise einmal nicht der Fall ist. Kurz nach Roxy Musics mutmaßlich bestem Album „For Your Pleasure“ reüssierte der Sänger außerdem als Solokünstler und brachte mit „These Foolish Things“ ein vergleichsweise geschniegeltes Coveralbum heraus, das sich Popund Soul-Standards widmete. Im Verlauf seiner weiteren Karriere ist Ferry – im wahren Leben angeblich von chronischer Schüchternheit befallen – mit seinem Alter Ego als latent liebeskranker und lebensmüder Dandy verschmolzen. Kaum ein Artikel über den Briten kommt ohne die Worte dekadent, elegant, luxuriös und stilvoll aus, kaum einer seiner Songs ohne den schweren Duft von Liebeskummer und Überdruss. Wo andere Liebhaber verliebt in die Liebe sind, hat es Bryan Ferry immer wieder der Moment des Verlöschens angetan, denn nur der glänzt so betörend im Bernsteinlicht der Vergangenheit. Die Vergangenheit des romantischen Losers klingt auf jedem seiner inzwischen 15 Soloalben an, die Hälfte davon voller Neuinterpretationen klassischer Fremdkompositionen. Der teutonisch-traurige Einschlag macht sich dabei immer wieder breit. Das gilt schon für das Titelstück der neuen LP „Bitter-Sweet“, das ursprünglich 1974 mit Lust am Leid und eingedeutschter Strophe betörte, sowie für den Selbstmordklassiker „September Song“, den Ferry auf seiner 1999er-Kollektion „As Time Goes By“ platzierte. Dabei arbeitete sich der Sänger sukzessive von den Sechzigern bis in die Dreißigerjahre zurück – was nun den Blick auf die Goldenen Zwanziger freigibt, die in der TV-Reinkarnation von „Babylon Berlin“ Quotenerfolge feiern. Ferry hatte in einer Folge der Serie einen Auftritt im legendären Tanzlokal Moka Efti (beziehungsweise in dessen Filmkulisse), doch die Berliner Begegnung mit Jazz, Swing und Ragtime kam für ihn und sein Orchester bereits vor sechs Jahren. Damals veröffentlichte er das Album „The Jazz Age“, das 13 seiner Kompositionen im Stil von Louis Armstrong und Count Basie präsentierte. Der Sänger selbst zog sich seinerzeit von der Party zurück und dirigierte lediglich die Aufnahmen, was damals die schlechteste Chartnotierung seiner Karriere zur Folge hatte. Inspiriert vom Berliner Babylon taucht Bryan Ferry nun noch einmal in die wilden Nächte auf der Potsdamer Straße ein und bringt dabei seinen Back-Katalog mit. „Bitter Sweet“ enthält Neuinterpretationen von Klassikern wie „Sea Breezes“, „Chance Meeting“ und des Titelstücks und kombiniert fünf Instrumentals mit acht Vokalnummern, die jeweils in zeitgemäßer Aufmachung mit Trompete, Klarinette und Akkordeon daherkommen. Mit zugekniffenen Augen hören sich die Aufnahmen an wie vom Grammophon abgespielt, eine champagnerfarbene Version der damaligen Showtunes, die gespenstisch durch die Jahrzehnte hallen. Dass man gleichzeitig immer die Ferry-Kompositionen hinter der Maskerade erkennt, desorientiert wie ein Schwips im Treppenhaus, mündet aber auch in einer reizvollen musikalischen Silvesterstimmung. Für zusätzliches Ambiente sorgt die Stimme des mittlerweile 73-Jährigen, die dem samtenen Sound des Albums einen angenehm aufgerauten Kontrast entgegensetzt. Genau wie die Songs selbst, betont sie die Schönheit der Vergänglichkeit und den romantischen Glanz in dieser Erkenntnis. Die wenigen auf Deutsch gesungenen Zeilen treffen ins Mark: „Nein, das ist nicht das Ende der Welt/ Gestrandet an Leben und Kunst/ Das Spiel geht weiter, wie man weiß.“

FAZIT: Die Mischung aus Bryan-Ferry-Kompositionen und Roaring-Twenties-Instrumentierung glückte schon aufdem „Jazz Age“-Album von

  1. Diesmal bringt der Ferry noch seine prägnante Stimme mit auf die Bühne und zeigt die Seelenverwandtschaft seiner Songs mit dem Entertainmentbegriff der Weimarer Republik auf. Romantisch – erst recht aus der sicheren Distanz.

Markus Hockenbrink