Literatur

24.10. | SPECIAL: Bücher zur US-Wahl

Amerikanische Misere

Amerika steht kurz vor den Wahlen und eine zweite Amtszeit von Donald Trump scheint nicht ausgeschlossen. Dabei hat kein Präsident vor ihm so stark zur Spaltung der amerikanischen Gesellschaft beigetragen. Was ist da los im Land der unbegrenzten Möglichkeiten? Woher kommt die Wut, die sich durch die gesamte Gesellschaft zieht? Aktuelle Bücher ergründen die verletzte amerikanische Seele.

Wie tief der Riss durch amerikanische Familien, Nachbarschaften und Communities geht, veranschaulicht der Bildband »Divided We Stand« der Schweizer Fotografen Mathias Braschler und Monika Fischer. 2019 reisten sie mit einem mobilen Studio durch die USA und fotografierten Menschen, die mit ihnen zu reden bereit waren. »Es ist eine echte Spaltung, wir mischen uns nicht, treffen nicht mehr aufeinander […], deshalb sehen wir uns mehr als Feinde, wir nehmen uns gegenseitig als fremd wahr und fürchten uns eher voreinander, weil wir uns nicht mehr begegnen«, gab eine YouTuberin zu Protokoll. Der Bildband bringt diese Menschen medial zusammen, die Spaltung kann er nicht überwinden.

Donald Trump steht für die Vertiefung der Spaltung, wie das Buch »Overtrump« des Berliners Sven Lindhorst-Emme zeigt. Das clevere Wortspiel des Titels (dt. »übertrumpfen«) entspricht dem amtierenden Präsidenten, der alles größer, schöner und besser gemacht haben will als seine Vorgänger. Die versammelten Trump-Zitate aus vier Jahrzehnten ergeben ein Psychogramm des mächtigsten Politclowns der Welt und lassen tief blicken. Das Ausmaß der Skrupellosigkeit des Präsidenten kann man in »Neulich in Amerika« von Eliot Weinberger nachlesen. Der New Yorker Essayist und Übersetzer lateinamerikanischer Literatur hatte 2005 mit » Was ich hörte vom Irak « in über 250 Schnipseln die Kontinuität der moralischen Verkommenheit der amerikanischen Irakpolitik rekonstruiert. Diese an Langgedichte erinnernde Form macht auch seine aktuelle Textsammlung unbedingt lesenswert. Da erfährt man etwa, dass es 2016 noch schlimmere Kandidaten als den gescheiterten Immobilienmogul gab oder wie unbarmherzig die Trump-Regierung gegen Kinder und Einwanderer vorgeht. Das rhythmische Stakkato der Fakten in dieser Chronik der jüngeren US-Geschichte geht jedoch über Trump hinaus. Weinbergers gesammelte Blumen des Bösen aus den Amtszeiten von George W. Bush und Donald Trump zeigen, dass die amerikanische Misere unter Trump historisch keine Ausnahme darstellt.

Die genannten Sachbücher sind informativ und in ihrem detaillierten Informationsreichtum erschreckend – erschreckend informativ. Doch vielleicht genügt die nackte Information nicht, um die USA zu verstehen. Vielleicht ist heute, mehr denn je, der Roman gefragt, den Finger an den Puls der amerikanischen Gesellschaft zu legen. Richard Russo und Don DeLillo führen in ihren schmalen Büchern vor, wie nah die zutiefst verstörte US-Gesellschaft am Abgrund wandelt. In äußerster Dichte zeigt Russo in der Novelle »Shitshow«, was die Wahl Trumps mit der amerikanischen Gesellschaft macht. Da lösen Fäkalien im Pool Ereignisse aus, die dazu führen, dass Misstrauen und Abscheu in jede Lücke menschlichen Miteinanders dringen.

Während Russo so die Beschissenheit der Dinge unter Trump vor Augen führt, liest sich Don DeLillos »Die Stille« – ein Endzeitszenario einer zweiten Amtszeit Trumps – wie eine Allegorie auf die zunehmende Sprachlosigkeit in Amerika. Ayad Akhtar und Ben Lerner zeigen in ihren fulminanten, tiefenpsychologischen Romanen, dass Symbolismus nicht reicht, um die Verhältnisse zu entziffern. Akhtar ist ein in den USA geborener Dramatiker mit pakistanischen Wurzeln, dessen Theaterstück »Disgraced« über Rassismus und Islamophobie in den USA 2013 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde. In den von Dirk van Gunsteren übersetzten »Homeland Elegien« geht Akhtar seinem Dasein als Amerikaner mit muslimischen Wurzeln auf den Grund. Seine Eltern haben Pakistan in den 60er-Jahren verlassen, um in den USA zu arbeiten. Der Vater legte seine muslimischen Wurzeln vollkommen ab und hielt – unter anderem als zwischenzeitlicher Arzt von Donald Trump – fortan die Fahne des stolzen Amerikaners hoch, während die Mutter – trotz Trauma – eine tiefe Sehnsucht nach Heimat in sich trug. Diese Zerrissenheit spiegelt sich in Akhtar selbst, der sich, zwischen Wirklichkeit und Fiktion wandelnd, auf eindrucksvolle Weise seinen Erfahrungen widmet, um zu verstehen, was mit seinem Land geschehen ist. »Einem Land, in dem ich, je mehr ich es verstand, desto weniger zu Hause zu sein schien.«

Im Mittelpunkt von »Die Topeka Schule« steht Ben Lerners Alter Ego Adam, ein Ivy-League-Absolvent, der in New York vom Bücherschreiben lebt. Ein Großteil des Romans spielt in der High-School, wo Adam als Debattiermeister seinen Altersgenossen den Rang ablief. Seinen intellektuellen Hintergrund bringt Adam aus dem Psychologen-Elternhaus mit. Sein Vater ging den kaputten Seelen verwöhnter weißer Teenagerjungen auf den Grund, seine Mutter kämpfte für Feminismus und Gleichberechtigung. Eines ihrer Bücher schlug so hohe Wellen, dass sie verlassene Männer am Telefon beschimpften. Als Adam unter dem Eindruck dieser Anrufe seinen Penis mit Kaugummi verklebte, deutet es seine Mutter als »eine Art Kastrationssache, ein Versuch, kein Junge mehr zu sein, kein Mann, keiner von den Männern.« Lerners Roman ist eine Ergründung der ebenso fragilen Männlichkeit, von deren gewaltvollen Abgründen sich Adam immer wieder zu lösen versucht. Der von Nikolaus Stingl übersetzte Text ist präzise, poetisch und mutig, geht neue Wege in seiner inneren Konstruktion. Trump selbst kommt darin nur in Anspielungen vor. Und dennoch wird man kaum ein besseres Buch über den Typus des wütenden weißen Mannes finden.

James Sturms »Ausnahmezustand« führt die psychologische Ergründung der verletzten Männlichkeit am Beispiel einer Familie durch. Die Ehe von Mark und Lisa gerät ins Trudeln, als Trump zum Präsidenten gewählt wird. Nun geht es für Mark darum, sein Leben und seine Wut in den Griff zu bekommen, um seine Ehe zu retten. Der Comic sucht Erklärungen für den Zorn, der Trump möglich gemacht hat. Sturm veranschaulicht im Kleinen die große Kluft Amerikas – und Ansätze, um sie zu überwinden.

Geht es nach Jill Lepore, dann braucht es dafür mehr Nationalismus. Das ist angesichts des Schlachtrufs »America First« ziemlich überraschend. Die Historikerin und Autorin der fulminanten US-Historie »Diese Wahrheiten«, fordert in »Dieses Amerika« die Demokraten auf, den Nationalismus zurückzuerobern, damit allen Bürgern eine stolze Identifikation mit der »liberalen Nation, der jeder Mensch angehört, der ihre bürgerschaftlichen Ideale teilt«, möglich ist. Nur so könne, wie es das Motto des amerikanischen Wappens vorsieht, wieder »E pluribus unum« – aus vielen eines werden. Die Zeichen zeigen in eine andere Richtung: Klaus Brinkbäumer und Stephan Lamby recherchierten für »Im Wahn« seit Anfang 2019 im Umfeld des Weißen Hauses und dokumentieren mit dem beginnenden Wahlkampf, den #BlackLives- Matter-Protesten und der Corona-Pandemie die »amerikanische Katastrophe«.

Der Riss, der durch die US-Gesellschaft geht, ist tiefer denn je und reicht weiter zurück als bis zur Wahl Donald Trumps. Es braucht die konzertierte Anstrengung aller Gattungen – Sachbuch und Roman ebenso wie Bildband und Comic –, um die Sprachlosigkeit im Angesicht der amerikanischen Katastrophe zu überwinden und Wege des Verstehens zu bahnen.

Foto: Mathias Braschler + Monika Fischer/Harmann Books

Thomas Hummitzsch