Kino

24.10. | Kinostart der Woche

The Room Next Door

· 24. Oktober

24.10. | Kinostart der Woche  - The Room Next Door

Bild: El Deso, Photo by Iglesias Más


Sterben im Zimmer nebenan

Für seinen ersten englischsprachigen Spielfilm hat sich Pedro Almodóvar dem Thema Sterbehilfe angenommen und Tilda Swinton sowie Julianne Moore für die Hauptrollen verpflichtet. Beim Festival in Venedig gab es dafür den Goldenen Löwen, der in unserem Videotelefonat mit dem spanischen Filmemacher stolz im Regal hinter ihm zur Schau gestellt wird.

Pedro Almodóvar, »The Room Next Door« ist eine Verfilmung des gleichnamigen Romans von Sigrid Nunez. Tauschen Sie sich in einem solchen Fall mit der Autorin aus?
Nein, gar nicht, denn werktreue Adaptionen haben mich noch nie interessiert. Ich habe Nunez überhaupt erst getroffen, als mein Drehbuch längst fertig war. Eine solche Vorlage ist für mich nie mehr als ein Mittel zur Inspiration, und es geht immer darum, aus dem Werk von jemand anderem mein eigenes zu machen. In diesem Fall haben mich an ihrem Roman vor allem zwei Aspekte interessiert: die Freundschaft zweier Frauen, die sich seit vielen Jahren kennen, und natürlich das zentrale Anliegen in dieser Geschichte. Also dass die eine angesichts ihrer unheilbaren Krebserkrankung die andere bittet, im Nebenzimmer zu verweilen, während sie mithilfe einer Tablette ihrem Leben ein Ende setzt. Davon ausgehend habe ich dann meine ganz eigene Geschichte entwickelt, die in vielen Punkten weit von der Vorlage abweicht.

Sterbehilfe dieser Art ist für viele Menschen nach wie vor ein heikles Thema, das kontrovers diskutiert wird. Sehen Sie Ihren Film als ein Plädoyer dafür?
Unbedingt. Ich weiß natürlich, dass es unterschiedliche Meinungen zu diesem Thema gibt und längst nicht alle Länder im Umgang damit so weit sind wie mittlerweile Spanien. Aber für mich persönlich ist die Sache eigentlich sehr klar und alles andere als kontrovers. In meinen Augen geht es um eine Frage der Menschlichkeit, und es sollte ein Grundrecht sein, dass man über sein eigenes Leben entscheiden kann. Deshalb sollte die Politik eingreifen, um genau das sicherzustellen. Davon abgesehen gilt: nur mich selbst geht es etwas an, wenn mein Leben mir durch eine Krankheit, Schmerzen oder ähnliches unerträglich geworden ist.

Also sehen Sie »The Room Next Door« auch als politischen Film?
Auf jeden Fall, zumal er mittels einer von John Turturro gespielten Nebenfigur auch einen Kommentar zum grassierenden Neoliberalismus und dem Erstarken der extremen Rechten auf der ganzen Welt abgibt. Außerdem schließen sich das Bekenntnis zur Sterbehilfe und der Gedanke, dass ein Gott existiert, letztlich aus. Insofern ist eine Geschichte wie diese auch eine anti-religiöse und damit politische Angelegenheit. Wobei ich eben finde, dass man dieses Thema gar nicht von der politischen, sondern nur von der menschlichen Seite aus angehen sollte. Selbst wer daran glaubt, dass nur Gott über Leben und Tod richten darf, muss verstehen, dass man diesen Glauben nicht einfach so anderen Menschen überstülpen und dass sich niemand in das Leben und Sterben anderer ungefragt einmischen darf.

Welchen Raum nimmt der Tod in Ihrem Leben ein?
Mein Verhältnis zum Tod und zum Sterben ist ein eher unreifes. Ich kann und will eigentlich nicht verstehen, dass unser Leben zu Ende gehen muss. Und der Gedanke, dass der Tod einen von einem Moment auf den nächsten ereilen kann, ist geradezu unvorstellbar für mich.

Konterkarieren Sie den Tod im Film auch deswegen wieder einmal mit möglichst farbenfrohen Bildern?
Da bin ich nicht der Erste, denken Sie an die roten Wände und Fußböden in Ingmar Bergmans »Schreie und Flüstern«. Aber ja, natürlich war es mir, als jemandem, der Farben liebt, wichtig, dass über meinem Film kein düsterer Schleier aus Grau- und Schwarztönen liegt, nur weil es um das Sterben geht. Vielmehr wollte ich mit den Kulissen, den Requisiten, den Kostümen die Lebendigkeit feiern, gerade auch die der sterbenden Martha. »The Room Next Door« ist für mich trotz oder gerade wegen der Thematik ein leuchtender und vor allem optimistischer Film. Schließlich geht es hier um jemanden, der ganz bei sich ist und eine klare, bewusste Entscheidung getroffen hat. Wodurch auch ihre Freundin, die große Schwierigkeiten hat, den Tod zu akzeptieren, sich verändert und lernt, jeden einzelnen Moment umso bewusster zu leben.

Die von Tilda Swinton gespielte, an Krebs erkrankte Protagonistin wettert gegen jene Menschen, die eine solche Krankheit auch als Möglichkeit für spirituelles Wachstum sehen. Spricht sie Ihnen damit aus der Seele?
Vollkommen. Mit einem derart positiv aufgeladenen Blick im Sinne von »Krankheit als Chance« kann auch ich nichts anfangen. Das bedeutet aber ja nicht, dass man sich seinem Schicksal kampflos ergibt. Im Gegenteil: auch Tildas Figur im Film versucht, den Krebs zu besiegen, bevor er sie besiegt. Aber sie sträubt sich gegen die Vorstellung, dass jeder, der der Krankheit nicht erliegt, eine Art Held ist. Das würde nämlich implizieren, dass alle anderen Verlierer sind, die nicht genug gekämpft haben.

Zum ersten Mal überhaupt haben Sie nun einen abendfüllenden Spielfilm nicht in Ihrer Muttersprache, sondern auf Englisch gedreht. Wie schwer fiel Ihnen diese Umstellung?
Ich bin dieser Herausforderung lange Jahre aus dem Weg gegangen. Vor allem, wenn Anfragen aus Hollywood kamen, denn ich wusste, dass das dortige System eines ist, dem ich mich nicht anpassen kann. Die Kompromisse, die man dort hinsichtlich seiner künstlerischen Freiheit eingehen muss, erschienen mir immer als zu große Einschränkung. Die Art und Weise, wie meine Produktionsfirma Projekte umsetzt, ist vermutlich das Gegenteil von dem, wie in den USA kommerzielles Filmemachen funktioniert. Doch »The Room Next Door« ist jetzt eben kein amerikanischer Film, sondern eine spanische Produktion, auf die gleiche Weise umgesetzt wie meine anderen 22 Filme auch. Deswegen war die Umstellung nicht groß. Dass die Geschichte, inspiriert von der Romanvorlage, nicht in meinem Heimatland spielt, ist schon der größte Unterschied. Und natürlich die Sprache. Aber die war durch die Arbeit mit Ausnahmeschauspielerinnen wie Tilda Swinton und Julianne Moore kein Hindernis.

Aber es ist schon eine Ironie des Schicksals, dass Sie jahrzehntelang mit Ihren spanischsprachigen Filmen bei den großen Filmfestivals leer ausgingen und nun ausgerechnet mit »The Room Next Door« den Goldenen Löwen in Venedig gewannen, oder?
Das ist schon ein schräger Zufall, ja. Allerdings ging es meinem berühmten Landsmann Luis Buñuel genauso. Er ist der einzige andere spanische Regisseur, der je den Goldenen Löwen gewonnen hat – und das ebenfalls nicht für einen Film in seiner Muttersprache, sondern 1968 für »Belle de Jour – Schöne des Tages«. Ich bin also in bester Gesellschaft. Ganz abgesehen davon, dass ich wirklich davon überzeugt bin, dass die Seele und das Herz meines Films – trotz der englischen Sprache – durch und durch spanisch sind.

Eine letzte Frage noch mit Blick auf den 75. Geburtstag, den Sie gerade gefeiert haben: Fühlen Sie sich inzwischen eigentlich alt?
Alt im Sinne von: bereit fürs Abstellgleis? Kein bisschen. Deswegen freue ich mich auch jetzt schon darauf, gleich im kommenden Jahr mit der Arbeit am nächsten Film zu beginnen. Nur körperlich merke ich natürlich doch hin und wieder, dass meine Jugend eine Weile her ist. Wenn ich daran denke, wie ich in den 80er Jahren die ganze Nacht lang durchfeiern konnte und trotzdem am nächsten Morgen hinter der Kamera stand, erscheint mir das dann doch sehr weit weg.


The Room Next Door

  1. Oktober, 1 Std. 50 Min.

Etwas holprig lässt sich »The Room Next Door« an, in dem es um zwei alte Freundinnen geht, von denen eine angesichts ihrer unheilbaren Erkrankung selbstgewählt aus dem Leben scheiden will. Das liegt auch daran, dass die Dialoge im ersten nicht-spanischsprachigen Langfilm von Almodóvar anfangs manchmal klingen, als entstammen sie einem mittelmäßigen Übersetzungsprogramm. Doch je enger die Bindung zwischen den beiden Frauen wird und je weniger sich der Regisseur mit Rückblenden in Marthas Vergangenheit aufhält, desto mehr zieht »The Room Next Door» das Publikum auf zarte, komplexe Weise in seinen Bann. Auch weil er viel mehr ist als ein Film über Sterbehilfe: eine Geschichte über Freundschaft, Vergänglichkeit und – wie so oft bei Almodóvar – Mutterschaft, gespickt mit Warnungen vor der Klimakatastrophe und Referenzen an James Joyce.


Zur Person

Schon mit seinem Regiedebüt »Pepi, Luci, Bom und der Rest der Bande« sorgte der 1949 geborene Pedro Almodóvar für Aufsehen, bevor er sich in den 80er Jahren als einer der wichtigsten spanischen Filmemacher überhaupt etablierte. Er hat seither rund 30 Spielfilme gedreht, gilt als Entdecker von Antonio Banderas und Mentor von Penélope Cruz, ist Dauergast bei den Filmfestivals in Cannes und Venedig und wurde sowohl für »Alles über meine Mutter« als auch »Sprich mit ihr« mit dem Oscar ausgezeichnet. In diesem Jahr hat er zudem die literarische Bühne betreten: Mit »Der letzte Traum: Zwölf Erzählungen« erschien im Frühjahr sein erstes Buch. Am 25. September 2024 feierte er seinen 75. Geburtstag, anlässlich dessen eine limitierte ARTHAUS-Box mit den besten Werken der Regie-Ikone erschienen ist.

Patrick Heidmann