24.10. | Album der Woche: Alice Phoebe Lou • Oblivion
Nettwerk
Foto: Mira Matthew
Vollkommen unvollkommen
Nach fünf Band-Alben veröffentlicht Alice Phoebe Lou jetzt Songs aus ihrer persönlichen Schatzkiste. Entstanden ist ein liebevolles Folk-Akustik-Album.
Alice Phoebe Lou, »Oblivion« vereint Songs,
die Sie über Jahre hinweg geschrieben haben.
Warum war jetzt der richtige Zeitpunkt, sie
zu veröffentlichen?
Viele dieser Songs erschienen mir zu zart, um sie mit einer Band zu spielen, und zu unfertig, um sie aufzunehmen. Doch irgendwann wollte ich mir nicht mehr allzu viele Gedanken darüber machen, was die Zuhörer von mir erwarten. Ich wollte nicht das Gefühl haben, mich immer selbst übertreffen und etwas Größeres oder Besseres schaffen zu müssen. Ich bin stolz auf die verletzlichen Songs und Seiten von mir. Sie betonen die Unvollkommenheit der Songs.
Warum funktioniert dieser Ansatz hier so
gut?
Einige meiner Lieblingsalben sind reduziert
und unvollkommen, aber ich habe mich nie
getraut, das Gleiche zu tun. Ich finde, es hat
etwas sehr Kraftvolles, Persönliches und Verführerisches, die eigene Unvollkommenheit zu
zeigen und die Menschen auf diese Weise an
sich heranzulassen. Ich glaube, die Menschen
brauchen diese Art von Musik, um sich darin
wiederzuerkennen und die Menschlichkeit zu
spüren, die darin zum Ausdruck kommt.
Nach zehn Jahren in Berlin haben Sie die
Stadt verlassen. Spiegelt sich dieser Abschied
auch auf dem Album wider?
Es fühlt sich so an, als hätte sich ein Kreis geschlossen. Ich habe dieses Jahrzehnt meines Lebens damit begonnen, auf den Straßen Berlins zu spielen – nur ich und meine Gitarre. Mit dem Album kehre ich zu meinen Wurzeln zurück. Ich teile das Herzstück der Songs mit den Menschen, so wie ich es früher getan habe. Es war sehr therapeutisch, diese Zeit meines Lebens noch einmal zu durchleben, während ich diese Phase hinter mir lasse. Ich empfinde viel Liebe und Zuneigung für das Mädchen, das ich damals war. Berlin wird immer der Ort bleiben, an dem ich zu der Person geworden bin, die ich heute bin, und ich bin dankbar für all die Lektionen, Höhen und Tiefen.
Vermissen Sie die Zeit als Straßenmusikerin?
Diese Zeit ist mein Fundament. Straßenauftritte inspirieren mich immer wieder und ich werde immer einen Weg finden, sie in irgendeiner Form als Teil meines Lebens zu behalten.
Was steht in der nächsten Phase Ihres
Schaffens an?
Ich genieße derzeit die Dualität meines musi-
kalischen Ausdrucks – den Sound einer kompletten Band und den völlig reduzierten Solo-Sound – und ich denke, ich werde erst mal
weiter zwischen diesen Extremen pendeln
und sehen, wohin mich das führt.

Alice Phoebe Lou
Oblivion
Nettwerk • 24. Oktober
Mit ihrem neuen Album kehrt die aus Südafrika stammende Singer -Songwriterin zu ihren Folk-Wurzeln zurück. Es ist ein musikalischer Blick nach innen und außen, der erstmals seit ihrer Platte »Shelter« (2023) wieder neue Facetten ihres Schaffens offenbart. Intim, verletzlich und durchdrungen von der Zeitlosigkeit ihrer Einflüsse wie Nick Drake, Joni Mitchell und Leonard Cohen.
Lars Backhaus