Musik

24.07. | Album der Woche

Lianne La Havas • Lianne La Havas

Warner · 17. Juli

Endlich erwachsen

Als die Soulsängerin und Songwriterin Lianne La Havas aus London im vergangenen Jahr ihren 30. Geburtstag feierte, hatte sie zunächst ein paar Fragen an sich selbst: Bin ich jetzt endgültig erwachsen – und will ich das überhaupt sein? Nach ein paar Überlegungen kam sie zu dem Schluss, genug über sich selbst, das Leben und die Liebe zu wissen, um ein Album aufzunehmen, das ihre Kunst auf ein neues Niveau hebt.

Wer dem dritten Album den eigenen Namen als Titel gibt, tut das nicht ohne Grund, dahinter steht die Botschaft: »Seht her, das bin ich in neu!« Lianne La Havas hat genau das getan, nach ihren ersten beiden Platten »Is Your Love Big Enough?« (2012) und »Blood« (2015) trägt das dritte Werk ihren Namen: »Lianne La Havas«. Wobei die Sängerin aus London klarstellt,dass es zu dieser Titelgebung nicht aus Faulheit oder Einfallslosigkeit kam. »Das sind meine Songs, meine Arrangements, meine Worte. Ich kann mich mit dem Album zu einhundert Prozent identifizieren. Daher trägt es meinen Namen.« Aber war das denn vorher anders?

Lianne La Havas ist nicht um eine Antwort verlegen, sie spricht sehr direkt, besitzt den Slang der Straße, mag die klare Ansprache. »Die ersten beiden Platten standen auch für mich, mit dem großen Unterschied, dass ich damals jung war und noch nicht so recht wusste, wer ich bin, was ich will.« Das hat sich nun geändert: Im Sommer 2019 ist die Tochter einer Mutter mit Wurzeln in Jamaika und eines griechischstämmigen Vaters 30 Jahre alt geworden. » Ich hatte mir vorher über diesen Schritt keine großen Gedanken gemacht«, sagt sie, »aber als es dann soweit war, habe ich gemerkt, wie einschneidend dieser Dekaden-Wechsel sein wird: Mit 30 ist deine Jugendzeit vorbei, du bist nun erwachsen, solltest bereit dafür sein, die an dich übertragene Verantwortung anzunehmen.«

Kurz habe sich beim Gedanken daran Panik entwickelt, es stand die Frage im Raum: Was, wenn ich das nicht kann? Mit der Zeit zeigte sich jedoch, dass die Bedenken unbegründet waren: »Ich spürte: Ich bin bereit für diesen neuen Abschnitt, und diese Songs helfen mir dabei, sie sind mein Gepäck für diesen Weg.« Fans der ersten beiden Platten müssen jedoch nicht befürchten, dass Lianne La Havas auf ihrem dritten Album komplett anders klingt. Die Grundkoordinaten ihrer Musik haben sich nicht geändert: Soul, Funk, R’n’B – aber nicht gespielt auf Kaffeehaus-Niveau, sondern so, wie man sich eine coole Sängerin vorstellt, die in einem geheimen Nachtclub ihr Publikum begeistert. Die Vorabsingle »Bittersweet« gibt die Richtung vor, das Stück klingt schon jetzt wie ein Soul-Klassiker, atemberaubend ist eine Live-Version, die man im Netz findet, eingespielt mit Orchester: unglaublich, wie sicher und inspiriert Lianne La Havas diesen Song intoniert.

Andere Höhepunkte des Albums leben weniger vom Glanz als von der Intimität: »Green Papaya« vereint Folk und Soul, wie es der unlängst verstorbene Bill Withers in seinen genialen Momenten hinbekommen hat, »Paper Thin« klingt unglaublich intim – kein Wunder bei einem Lied, das von der Volatilität der Liebe handelt: Eben noch war alles gut, jetzt gibt es da diesen Riss, der schnell immer größer wird. Auch dieses Wissen bringt man mit, wenn man die 30 überschritten hat. Eine echte Sensation ist Lianne La Havas‘ Version von »Weird Fishes«, einem Stück von Radiohead. Bei der experimentellen Popband aus Oxford klingt das Lied nach einem sanften Wirbel; La Havas hat sich zusammen mit ihrer hochklassigen Begleitband gründlich überlegt, wie sie sich diesem Stück nähern sollte. »Ich haben den Song schon vor Jahren live gespielt«, sagt sie, »nun wollte ich ihn aufnehmen, wobei wir schnell auf den Gedanken kamen, dass die Atmosphäre des Stückes stark vom Rhythmus abhängt, mit dem wir es spielen.« Den Wirbel des Originals deutet Lianne La Havas mit ihrer Band kurz an, dann geht das Stück auf Tauchstation, bevor es nach gut dreieinhalb Minuten mit viel Drang wieder auftaucht. Wer dachte, das Lied sei in der Einspielung von Radiohead perfekt, sollte diese neue Version hören: Der Londonerin gelingt das Kunststück, der Komposition einer der besten Bands der Welt neue Dimensionen zu entlocken – das muss man erst einmal hinbekommen. Die letzten Zeilen singt La Havas mit einer ganz neuen Kraft in ihrer Stimme. » Intim und nah am Mikro zu singen fällt mir leichter «, sagt sie, » aber ich habe erkannt, dass es Momente gibt, in denen man die Energie in der Stimme ändern muss, in denen man die Kraft, die von innen kommt, auch nutzen muss. « Mit 30 Jahren weiß man sowas. Und Lianne La Havas nutzt dieses Wissen für die bislang beste Platte ihrer Karriere.

FAZIT: Wer herausbekommen möchte, wie Lianne La Havas das übliche Klanggewand des Neo-Soul hinter sich lässt, sollte sich das letzte Albumstück »Soul Flower« anhören. Ausgehend von einem betörenden Stück entsteht eine jazzige Coda, die auch an Krautrock und Afrobeat erinnert. Kein Wunder, dass Prince in seinen letzten Jahren Fan der Britin war: Auf ihrem dritten Album zeigt Lianne La Havas, wie spielerisch sie zwischen Genres wechseln kann.

Foto: Hollie Fernando

André Bosse