Musik
24.06. | Album der Woche
Alexis Ffrench • Truth
Sony ClassicalNeue Verantwortung
Der Mord an George Floyd war für Alexis Ffrench ein Wendepunkt. Mit "Truth" definiert der Pianist seine Berufung neu. Er will Einfluss nehmen.
Alexis Ffrench, ist Wahrheit schwer zu
finden?
Heutzutage ist es eine Herausforderung,
zwischen wahr und falsch zu unterscheiden.
Unsere Welt ist voller Rauschen. Es ist schwer,
den nötigen Abstand zu wahren, um die Informationsflut
zu filtern, die uns fortwährend
überrollt. Daher ist es mir wichtig, täglich
Momente der Stille zu finden.
Finden Sie in der Musik Wahrheit?
Ja, weil sie mir dabei hilft, mich selbst zu verstehen.
Jeder sollte ein Werkzeug dafür haben,
zu erkennen, was er im Kern ist. Nur wenn das
gelingt, können wir auch andere Menschen
wirklich wahrnehmen. Viele sträuben sich
davor, sich ernsthaft mit abweichenden Meinungen
zu beschäftigen, die die eigene Sicht
auf die Welt herausfordern könnten. Dabei ist
genau das für mich Wahrheit: Unterschiede
erkennen und akzeptieren.
Wie kamen Sie zu dieser Erkenntnis?
Der Mord an George Floyd war für mich ein
Wendepunkt. Ich sah mich danach einer komplexen
Bandbreite an Gefühlen ausgesetzt und
stellte plötzlich alles in Frage, was ich über
die Menschheit zu wissen glaubte. Einerseits
reflektierte ich die Privilegien, die mir dank
meines Talents zuteilwurden; denn bislang
ist man mir in meinem Leben immer mit
Neue Verantwortung
Freundlichkeit und Großzügigkeit begegnet.
Aber zugleich fühlte ich mich in diesem Moment
so verbunden mit meiner Ethnizität wie
nie zuvor. Ich sah mich selbst durch die Augen
anderer Menschen, die mich ausschließlich
als Man of Color identifizieren. Egal ob bei
asiatischen Männern, weißen Frauen oder
eben People of Color ist die Wahrnehmung
oft homogenisiert. Es macht innerhalb dieser
Schublade keinen Unterschied, ob beispielsweise
diese Person ein Künstler oder jene ein
Wissenschaftler ist. Manche Menschen können
über die Hautfarbe nicht hinwegsehen.
Aus dieser Erfahrung erwuchs für mich eine
neue Verantwortung.
Wofür?
Diesen Aspekt meiner Persönlichkeit stärker
in den Fokus zu rücken und konkret darüber
nachzudenken, wie ich einen positiven Einfluss
auf diese Welt nehmen kann. Ich stellte
mir als Musiker erstmals die Frage, was die
Menschen von mir brauchen. Nicht zuletzt
durch einige Kommentare zu meinen Videos
fand ich darauf die Antwort, dass es sich vor
allem um Trost und Geborgenheit handelt.
Ich möchte den Menschen einen Moment des
inneren Friedens geben und sie dazu ermutigen,
ihre eigene Berufung zu finden.
Alexis Ffrench
Truth
Sony Classical, 6. Mai
Die Ruhe, die Alexis Ffrench mit seinen zarten Klaviermelodien ausstrahlt, lässt einem keine Wahl. Bereits mit den ersten Tönen von "Truth" schaltet man das Gedankenkarussell aus und ergibt sich den wunderschönen Stücken, die nie die Länge eines Popsongs überschreiten. Dabei spielt es eine untergeordnete Rolle, ob Ffrench sich um Streicher bereichert, bei "One Look" ausnahmsweise Gesang von Leona Lewis hinzufügt, oder in "Evermore" ganz alleine am Piano sitzt. "Truth" ist ein tröstlicher Moment der Stille inmitten der lärmenden Welt.
Foto: Alex Lake
Katharina Raskob