Musik

24.04. | Album der Woche

Morrissey • I Am Not A Dog On A Chain

BMG · 20. März

Foto: BMG

Bellende Hunde

Morrissey verkneift sich mit seinem 13. Soloalbum weitere Querulanz. Die Hand zur Versöhnung will das missverstandene Genie aber auch nicht reichen.

Für Morrissey ist die Sache klar: Sein neues Album ist „zu gut, um wahr zu sein“ und „zu wahr, um gut zu sein“. Was man bei anderen Künstlern als antrainiertes PR-Statement abtun würde, resultiert beim ehemaligen Smiths-Frontmann aus einem unerschütterlichen Ego, das mittlerweile vor allem abseits der Musik mit Provokationen in die Öffentlichkeit drängt. Und die spätestens, wenn es um seine rechtspopulistischen Gesinnungen geht, auch härteste Fans verprellen. Einerseits scheint es so unmöglich, sich „I Am Not A Dog On A Chain“ unvoreingenommen zu nähern, und die grundsätzliche Frage, inwiefern sich Kunst und Künstler voneinander trennen lassen, bei solcher Hartnäckigkeit obsolet. Andererseits ist Morrisseys Karriere, ob als eigensinnige Künstlerfigur oder in seiner divenhaften Öffentlichkeitsinszenierung, schon immer von Widersprüchen geprägt gewesen. Ist das am Ende vielleicht die einzige Möglichkeit, seiner Musik heute noch eine Chance zu geben? Wenn Morrissey jetzt mit Zeilen wie „Darling, I hug a pillow in absence of you“ seine verletzliche Seite offen zur Schau stellt, dann geht das eigentlich nur schwer zusammen mit seinen aggressiven Auftritten im Namen von Tierrechten und Veganismus. Wenn „What Kind Of People Live In These Houses“ mit einer bezaubernden Gitarrenmelodie um die Ecke kommt und „Knockabout World“ zu einem anschmiegsamen, clever arrangierten Popsong anschwillt, der sich für Tage im Gehörgang festsetzt, dann scheint der Urheber dieser Songs eine andere Person zu sein als die, die bei öffentlichen Auftritten Buttons der Rechtsaußenpartei „For Britain“ trägt. Zumal andererseits dann wieder vernünftige Coversongs mit Vorzeige-Punk Billie Joe Armstrong aufgenommen werden. Eine Erklärung für Morrisseys Lust an der Brüskierung bietet der Titelsong an. „I do not read newspapers, they are troublemakers“, heißt es da, und vor dem inneren Auge erblickt man den Sänger mit einem T-Shirt, das die britische Qualitätszeitung The Guardian anfeindet. „Fuck The Guardian“ steht drauf, und ein um Relevanz bemühter Künstler, der seine Integrität und seine guten Manieren verloren zu haben scheint, steckt drin. Und trotzdem: Auch hier lassen sich Gesangstalent und ein Gespür für fulminante Melodiebögen nicht leugnen. Nur mit der überheblichen Selbsteinschätzung, „I Am Not A Dog On A Chain“ wäre zu gut, um wahr zu sein, dürfte Morrissey am Ende doch allein dastehen.


FAZIT: „I Am Not A Dog On A Chain” ist das altersmilde Werk eines der bedeutendsten Frontmänner der 80er Jahre, das nur wenig über die Reizfigur dahinter verrät. Wer Morrisseys immer grellere Fehltritte zumindest für eine Albumlänge ausblenden kann, findet hier immer noch wohlgeformten Pop mit unbescholtener und weiterhin beeindruckender Gesangskunst. Alle anderen werden auch mit diesem Album keine Fans mehr. Oder sind es die längste Zeit gewesen.

Daniel Thomas