23.10. | Kinostart der Woche: Franz K.

23.10. | Kinostart der Woche - Franz K.
Foto: Marlene Film Production | X-Verleih

Kafka höchstpersönlich

Agnieszka Holland ist die Grand Dame des europäischen Kinos mit Anliegen. Ihr »Franz K.« ist ein persönlicher und überraschend heiterer Kommentar zu Kafka.

Agnieszka Holland, Sie pendeln zwischen Hollywood und den großen Filmstudios in Europa. Gestern feierte »Franz K.« auf dem Filmfest in Toronto Premiere. Wie war die Reaktion des Publikums?

Sehr gut, wobei Premierenpublikum immer freundlich ist. Aber ich hoffe, dem ein oder anderen hat meine sehr persönliche Herangehensweise an Kafka wirklich gefallen. Ich war 14 Jahre alt, als ich den »Prozess« für mich entdeckte. Danach habe ich alles von ihm verschlungen: Romane, Tagebucheinträge, Briefe. Seit gut 60 Jahren mache ich mir Gedanken um Kafka. Mal mehr, mal weniger. In den letzten Jahren wieder mehr. Leider.

Warum leider?

Weil Kafka immer dann ins Bewusstsein der Menschheit rückt, wenn totalitäre Systeme an die Macht kommen. Und das scheint in manchen Ländern der Fall zu sein. Kafka hat den Druck solcher Systeme literarisch ins Absurde überhöht, zum Beispiel in »Das Schloss«. In der CSSR war er deswegen sogar verboten. Umso mehr wurde er während des Prager Frühlings 1968 als Held gefeiert. Um danach wieder verboten zu werden. Heutzutage ist er Prags größte Touristenattraktion.

Trotz seiner düsteren Gedanken haben Sie ihn als Mensch mit Sinn für Humor inszeniert. Es gibt eine Szene, die seinen berühmten Tagebucheintrag »War im Kino. Geweint« komplett konterkariert.

Kafka war oft im Kino und es heißt, er hätte die Slapstick-Filme von Mack Sennett geliebt. Über die hat er sogar sehr laut gelacht – nur eben an anderen Stellen als der Rest des Publikums. Sein Hirn hat völlig anders funktioniert. Das machte ihn zu einem hochinteressanten Sonderling, verletzlich und unbeirrt zugleich. Als 14-Jährige wollte ich ihn wie einen kleinen Bruder beschützen. Und jetzt mit 76 eigentlich auch noch.

Sie haben Kafka mit dem Kölner Schauspie- ler Idan Weiss besetzt, der im Kino ein gänz- lich unbeschriebenes Blatt ist.

Den hat meine Castingdirektorin aus dem Hut gezaubert. Ich war sofort begeistert, weil er nicht nur die Physiognomie von Kafka hat, sondern auch sehr viel Verständnis für den Menschen und die Situationen, in die er sich gebracht hat – mit Frauen, mit Sport, mit dem Schreiben und nicht zuletzt mit seinem Vater.

Sie sprechen kein Deutsch, haben »Franz K.« aber in Prag auf Deutsch gedreht. Wieso?

Alles andere wäre in Kafkas Fall absurd gewesen.

Franz K.
2 Std. 7 Min.

Nach dem schmerzlich realistischen Grenzdrama »Green Border« (2023) hat sich Agnieszka Holland ein Film-Porträt vorgenommen, das ihr schon lange am Herzen lag. »Franz K.« beleuchtet Kafkas zahlreiche Facetten, vom Kleinkind bis zur Prager Touristenattraktion. Dabei spielt die Regisseurin in Bild und Ton mit den Mitteln des Mediums, nutzt Ex- und Impressionismus, Horrorelemente, Kurzinterviews und Audioguide. Ganz nebenbei setzt sie mit Idan Weiss in der Titelrolle einen neuen Stern an den Kinohimmel.

Edda Bauer


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